Sanssouci: Nachschlag
■ Ein „grauenhafter Vorschlag“ von Ivan Nagel
Die Schließung der Staatlichen Bühnen hat die überfällige Diskussion um Struktur und Bedeutung der Staatstheater forciert. Wie die Chancen, die diese Auseinandersetzung zur Reform der lebensunfähigen Dinosaurier bietet, ungenutzt verpuffen, war bei einem Vortrag, den Ivan Nagel am Freitag im Foyer des abgewickelten Theaters hielt, zu beobachten. Die sich an Nagels eleganten Vortrag anschließende Diskussion ließ an Hysterie und Pathos nichts zu wünschen übrig. Da gab eine empörte Schauspielerin, die erst seit kurzem am maroden Schiller Theater spielt, zu erkennen, was sie unter Künstlersolidarität versteht, indem sie das Deutsche Theater als muffige Spießerbude beschimpfte; da klagte ein aufgeregter Leander Haußmann, seine Generation werde von den etablierten Fünfzigjährigen im Stich gelassen, und nannte Nagel wütend einen „Mafiosi“, gar ein „Arschloch“. Der, nicht faul, revanchierte sich, indem er ein wenig aus dem Nähkästchen plauderte und dem staunenden Publikum verriet, daß Haußmann, Regisseur am Hause, einst in einer Kneipe wütend die Schließung des „Scheißtheaters“ verlangt hatte, für dessen Erhaltung er jetzt eintrete. Prösterchen!
Foto: David Baltzer/Sequenz
Ein Trauerspiel. Der Wirklichkeitsverlust und die Eitelkeiten, die traurigen Milieuschäden der Staatstheaterinsassen wurden im Diskussionsstil und den rhetorischen Schaukämpfen deprimierend deutlich. Selbst Ivan Nagel, einer der klügsten Köpfe des deutschen Theaters, konnte der Misere mit seinem Vortrag wenig entgegensetzen. Seine Beschreibung des Schiller Theaters machte deutlich, weshalb der Verlust dieses Theaters kein großer Verlust ist. Seine Vorschläge zur Rettung des Hauses waren so gut gemeint wie hilflos verspätet. Ensemblegeist und „Beweglichkeit“ beschwörend, träumte er von einigen Produktionsgruppen – im Klartext: eine Truppe um Schleef, eine Truppe um Thalbach und Besson. Nur leider, leider hat Thalbach das Haus bereits vor der angedrohten Theater-Schlachtung verlassen – mit dem neuen Hausregisseur Niels Peter Rudolph wollte sie nicht an einem Theater arbeiten. Und Schleef, einer der wichtigsten Regisseure seiner Generation, wird vom konservativen Schiller-Ensemble abgelehnt, vom biederen Schiller-Publikum gehaßt: Weshalb also sollte das marode Haus für Schleef gerettet werden? Ein ungünstigeres Umfeld ist für seine Berserker-Inszenierungen nicht denkbar. Den „Faust“, den er derzeit als Schiller-Produktion (aber nahezu ohne Schiller-Schauspieler) probt, wird er auch an einem anderen Berliner Theater als Gastspiel zeigen können – die Schaubühne soll bereits ihr Interesse an der Produktion angemeldet haben. Der „grauenhafte Vorschlag“, den Nagel zur Rettung des Schiller Theaters in den Raum warf, war von ähnlicher Hilflosigkeit wie die gesamte Veranstaltung: Man sollte nicht alle drei Theater der Staatlichen Bühnen (Schiller, Werkstatt und Schloßpark) schließen, sondern bloß das Schloßparktheater (der Liebling der Steglitzer Witwen), und ergänzend das Ostberliner Gorki Theater den Sparkommissaren zum Fraß vorwerfen. Dieser Vorschlag war nicht nur hilflos, sondern machte deutlich, daß nach der (ohnehin nicht abzuwendenden) Schiller-Schließung als nächstes womöglich das kleine, aber von seinem Publikum weit leidenschaftlicher als die Schiller-Bühnen geliebte Ostberliner Theater dran glauben muß. Ein Trauerspiel. Peter Laudenbach
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