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SanssouciVorschlag

■ Heiner Müllers „Anatomie Titus...“ im Hebbel-Theater

„Ein neuer Sieg verwüstet Rom die Hauptstadt“, und die über die ganze Bühnentiefe verstreuten Leichen werden am Ende das Ergebnis dieses Sieges sein. Aber noch leben die Leichen, sprechen (und singen) chorisch die Vorgeschichte. Titus Andronicus (Thomas Dannemann), römischer Feldherr, hat die Goten besiegt und bringt Tamora, die besiegte Königin, mit ihren drei Söhnen in die Stadt. 22 Söhne hat er für die Verteidigung Roms geopfert, und weil die Toten nicht gerne alleine sind, wird die Erstgeburt der Gotenkönigin zerhackt.

Was als magisches Opfer und Begrenzung der Rache an den Besiegten (1 Sohn für 22) dienen soll, ist der Auftakt einer Racheorgie, die am Ende die Androniken vernichten wird. Der erste Mord liefert die Energie in dem wohl blutigsten Splatterdrama Shakespeares, dessen Fassung „Anatomie Titus Fall of Rome. Ein Shakespearekommentar“ von Heiner Müller am Samstag im Hebbel-Theater Premiere hatte. Die Inszenierung von Angelika Waller mit Schauspielschülern abstrahiert vom dem blutigen Geschehen zugunsten einer Künstlichkeit, die auf die Kraft des Textes setzt. Neben etlichen Grausamkeiten zitiert Shakespeare/Müller auch den Artridenfluch: Titus wird Tamoras Söhne, die seiner Tochter Lavinia nach der Vergewaltigung beide Arme abgehackt und die Zunge herausgeschnitten haben, kochen und der Mutter servieren: „Das spart Gräber“; und schafft Arbeitsplätze für Köche und Anatomen.

Der Leichenchor skandiert, von einem Dirigenten geführt, die Texte Müllers exakt an dessen Zeilenbrüchen entlang. Die Brechungen werden in diesen glänzend choreographierten Szenen so eindrucksvoll deutlich wie später nicht mehr, bis zu einer furiosen HipHop-Version der Hochzeit des neuen Kaisers mit der Gotenkönigin. Später werden die Rollen wieder brav auf die einzelnen Schauspieler verteilt, bis auf den Neger Aaron, den gibt's vierfach. Tamora, die Barbarin in einem wunderschönen weißen Kleid, hat nun die Macht, ihre Rache durchzusetzen. Behilflich ist ihr dabei ihr Sklave und Geliebter, der Neger Aaron.

Der Kampf der „Neger aller Rassen“ (Müller) gegen „Rom, die Hure der Konzerne“, scheint aber nicht sonderlich zu interessieren. Der Exkurs über den Schlaf der Metropolen, in dem Müller seine Utopie der Vernichtung der römischen Zivilisation beschwört — „Die Späher Attilas gehn als Touristen/ Durch die Museen und beißen in den Marmor“ —, wird etwas verhalten vorgetragen, als sei man sich über den Kern des Stückes nicht klar; denn Rom ist durchaus der „kapitalistische Westen“. Der Neger schreibt ein andres Alphabet, und Müller war das Schlechte Neue schon immer lieber als das Gute Alte. Jochen Meißner

Noch bis zum 11. März im Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29

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