Sanssouci: Vorschlag
■ Die Clownsgruppe Licedei in der UFA-Fabrik
Ihre Clownswerdung ist ein Ritual: Die fünf zunächst so unscheinbar wirkenden Männer aus St. Petersburg purzeln ganz privat auf die Bühne, blinzeln schüchtern ins Publikum, quetschen sich vor einen großen, lädierten Reisekoffer und beginnen mit Sorgfalt ihre Gesichter zu schminken. Vor unseren Augen erstehen mit wenigen Handgriffen die kleinen verschmitzten Lachfalten, die dünnen oder vollen Lippen, die lustigen roten Nasen und die so überaus traurig-traurigen Augen. Ihre seltsam uneitle Aufmerksamkeit im Spiegel stimmt weich und verbindet auf einfache Weise die Zuschauer mit dem Geschehen auf der Bühne. Eine Verwandlung auf Zeit stellt sich ein, die zwinkernd mit offenen Karten spielt und im Ritual der Verwandlung über die Einsamkeit der fahrenden Gaukler ebensoviel erzählt wie über die Versuche, in die oft verbauten Kommunikationen dieser Welt einzutreten.
Als die russische Clownsgruppe Licedei vor einigen Jahren mit der internationalen MIR-Karawane mitten auf der Straße des 17. Juni eintraf, mußte sie mit ihren nonverbalen Späßen glatt nach nebenan in die schwangere Auster umziehen, um die Spektakellust aller Berliner befriedigen zu können. Nun sind sie noch einmal zurückgekehrt und zeigen in der UFA-Fabrik in ihrem Stück „Tschoudaki“ eine merkwürdige Ansammlung melancholisch dreinblickender Gestalten, für die die kleine Welt so unübersichtlich groß erscheint, daß jeder Gegenstand, jeder Laut und jeder Blick zu einem unlösbaren Mirakel wird.
Auf den dadaistisch angehauchten Uhren, die auf der kaum markierten Rumpelkammer herumhängen, läßt sich keine konkrete Zeit ablesen. Und tatsächlich scheint die Zeit stehenzubleiben, während diese liebenswerten Menschen durch eine Welt widerspenstiger Besen, quakender Hupen und schlecht gestimmter Flöten stolpern – eine Welt, in der alles lebt und atmet, in der es keine toten Gegenstände gibt. Kein Tennisschläger ist davor gefeit, zum quäkenden Baby zu werden, und aus jedem Ball kann ein Körper, ein Wesen entstehen.
Die Licedei-Gruppe hat der Gattung des lyrisch gestimmten Clowns zahlreiche Facetten abgewonnen, wie sie hierzulande wohl in keinem Zirkus zu sehen sind. Von keiner Löwenparade unterbrochen, träumen sie sich davon und nehmen uns mit zu ihren Gesprächen, bei denen sie jede Sprachbarriere überwinden und unseren Lachmuskel aufwecken. Wenn am Ende die Künstler einpacken, sich langsam wieder abschminken, ganz unprätentiös verschwinden, geistert Wehmut durch den Raum, und manch einer würde am liebsten auf die Bühne stolpern und ihnen den Schminkstift aus der Hand reißen, auf daß ihre Vision einer Welt der Wärme und Liebe nicht verschwinde. baal
Bis zum 4. April, täglich um 21 Uhr in der UFA-Fabrik
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