Sanssouci: Vorschlag
■ „Fontanelle“ – Potsdam
Komm doch bitte zu mir, damit ich Dich verletze. Das ist die Botschaft von Gregory Green, einem amerikanischen Künstler, der sich zum Ziel gesetzt hat, radikale Kunst zu machen. Wer mit der S-Bahn in Potsdam-Stadt ankommt, wird auf dem Bahnhofsvorgelände von einem Plakat empfangen, das Green wie viele andere Künstler gestaltet hat, um die Stadt zur 1000-Jahr-Feier mit einem Flor gegenwärtiger Kunst zu schmücken. Greens Plakat ist eine blaue Skizze, die dem Reisenden auf englisch die Details einer Buchbombe erklärt. Diese Sorte fäusteballender Subtilität gefällt offensichtlich auch Christoph Tannert, der Green im Rahmen der Ausstellung „Fontanelle“ gleich drei Chancen gibt. In den geschichtsträchtigen Räumen des ehemaligen Heeresproviantamtes an der Zeppelinstraße (Nr. 136) zeigt Green eine Installation mit 50 Sägeblättern, die das Aufsichtspersonal per Fußschalter in Bewegung setzt, wenn sich Besucher dem metallokratischen Objekt nähern.
Einen Kontrapunkt zu dem Zwang, mit massivem Technologie-Einsatz Aufgeschlossenheit gegenüber den „neuen“ Medien zu demonstrieren, bietet die Ur-Medienkunst Andi Ginkels. Er arbeitet mit einem Diaprojektor und einem offenen Heizkörper, die für die Basismedien Luft und Licht einstehen. Der Lichtstrahl des Diaprojektors wird durch die Heizquelle thermischen Turbulenzen ausgesetzt, die sich als bewegte Zeichenformationen auf der gegenüberliegenden Wand niederschlagen. Der Titel „Sehen gestern fortgesetzt“ ist als Option für Kontinuität zu lesen oder als ironische Wendung auf alternde Sehnsüchte.
Noch knirscht es, wo zusammenwächst, was zusammengehören soll. Es ist schwierig vor Ort an der Potsdamer Zeppelinstraße auszumachen, wo „Fontanelle“ eigentlich beginnt. Denn es sind nicht die Ausstellungsplakate, die dem Besucher auffallen, sondern die Stellwände der Bauherren, die ankündigen, daß sie das historische Gebäude in ein „Art-Zentrum“ mit Hotel verwandeln werden. Es ist nicht leicht, zwischen Bauarbeit und Kunstwerk zu unterscheiden. Mit gutem Willen läßt sich beispielsweise das provisorische Foyer als Installation deuten. Dieser Umgebung paßt sich die Arbeit von Andrea Fisher an. Denn der Glasrahmen, in dem sie die Aufnahme eines vernarbten menschlichen Körpers zeigt, lehnt an einem weißen Raumteiler im Eingangsbereich. Er wird vor den Fußtritten der Besucher durch das Fragment eines Geländers geschützt, das mit einem schwarzen Tuch pathetisch drapiert ist. Die Installation verweist auf den Tatbestand, daß hier die Kunst noch keinen festen Ort hat. Die Mühe, nach einem Ort für gegenwärtige Kunst in Brandenburg zu suchen, lohnt sich jedoch nur, wenn man Arbeiten präsentiert, die auf Situation und Umwelt reagieren und sich plumper Effekthascherei verschließen. Besucherscharen wird man mit den bekannten Namen (Peter Weibel, Kiki Smith, Jochen Gerz) nicht anlocken, da deren Arbeiten andernorts besser präsentiert werden. Die andere Möglichkeit wäre, Künstler zu zeigen, die noch nicht im Kunstbetrieb verankert sind. Große Entdeckungen hat Tannert mit „Fontanelle“ nicht zu bieten. Die In-Themen Gewalt und Sex werden zu billig dem Kunstkontext appliziert. Nils Röller
„Fontanelle“, bis zum 5. September. Karten: 2DM/4DM. Die begleitende Publikation, mit Texten u.a. von Durs Grünbein, Harald Fricke und Friedrich Meschede, kostet 25 DM. Eine Dokumentation der ausgestellten Arbeiten soll später erscheinen.
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