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SanssouciVorschlag

■ Blow im Pfefferberg

Laßt uns ein neues Kapitel eröffnen der unendlichen Geschichten von den verschleuderten Talenten in dieser Stadt. In der heutigen Folge: Sven Schumacher. Damals samt Bruder aus dem nördlichsten Norden der heimeligen Alt-BRD – irgendwo in der Nähe von Aurich, oder wie das heißt – ins beschauliche Berlin gekommen und freudig erregt No Harms gegründet. Die brachten es mit ihrem grandios-katastrophal überkandidelten Power-Rock immerhin bis in die Bravo, wo sie als „niedliche Jungs“ geoutet wurden. Doch trotz mehrerer Platten und dem Potential für die deutsche Hitparade wollte aus den dreien nichts Rechtes werden, was nicht nur ihre Mütter geschmerzt haben dürfte. Und das auch nur aus dem schlichten Grunde, daß keiner von ihnen auch nur einen Hauch kommerzielle Professionalität besaß: Da wurden schon mal Konzerttermine einfach verschwitzt. Sven verhaspelte sich zusätzlich auch noch in diverse Sideprojekte. Das relativ neueste heißt Blow und ist wieder ein Trio mit alten Saufkumpanen, die vormals bei Rasca Cocous und Weird At 6 P.M. auch nicht gerade bombenmäßig erfolgreich tätig waren. Und wieder war alle Welt baß erstaunt über die Massen an Talent, die sich dort ballten. Schon ihrem ersten Auftritt als Vorgruppe von Rage Against The Machine folgten die üblichen Da-ist-noch-einiges-zu-erwarten-Lobhudeleien. Dabei wurde wohlweislich vergessen, daß jeder von Blow schon gut eine halbe Dekade im Geschäft ist und somit den Talentschuppen eigentlich längst hinter sich gelassen haben sollte.

Immerhin bieten Blow den Stimmbändern von Schumacher, die von den Möglichkeiten her in der Stadt immer noch ihresgleichen suchen, den passenden Background. Der Bombast, dem No Harms schon in ihrer Endphase anheimgefallen waren, schlägt's diesmal zeitweise den Boden aus der Krone, was dem Hang Schumachers, sein Stimmvolumen zu präsentieren, gerade passend kommt. Schlauerweise schwächen sie das überhandnehmende Pathos durch leichte HipHop-, deftige Funk- und trockene Metal-Einsprengsel ab. Und so vollzieht Schumacher weiterhin gar wunderbar und höchstpersönlich die Zeitgeschichte des Rock in gebührendem Abstand nach: Nach Hüsker Dü und Soul Asylum ist er jetzt mit Blow bei Pearl Jam angekommen. Und wie immer macht er seine Sache mit Hingabe gut. So haben es Blow quasi aus dem Stand zu einer der besten Rockbands Berlin geschafft, aber trotzdem gehe ich fast jede Wette ein, daß sie es im besten Falle nur bis zum Independent-Vertrag machen werden. Denn manche schaffen es (vielleicht leider) einfach nie, und das ist ja schon wieder grundsympathisch. Thomas Winkler

Heute im Rahmen der „Insel-Party“ um 21 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg

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