Sanssouci: Vorschlag
■ Abnabeln am Schlachtensee
Wer etwas auf sich hält in den Sphären des Geistigen, ist derzeit natürlich damit beschäftigt, durch den Frankfurter Blätterwald zu stapfen und sich die Augen im künstlichen Licht der Messehallen zu verderben: Umdunstete Gestalten mit tiefen Augenringen vom Mißbrauch des Alkoholischen und womöglich solchem anderer Art sitzen dort an Plastiktischchen, trinken unzählige Käffchen aus Plastiktäßchen und wandern von einem Ort zum andern, die Füße durch den im Tagesverlauf ansteigenden Bodenbelag von Plastikverschweißungen, Buch-Info- und Reklamezetteln mehr schlurfend als hebend. Allerorten gibt's jemanden zu grüßen oder (wichtiger) zu übersehen, und hin und wieder bleibt man stehen und zupft einander am Jackenärmel: „Du, war das nicht...? Deeer ist aber alt geworden!“, worauf man den Blick in den Taschenspiegel zur Überprüfung der eigenen Jahres- und Augenringe sorgsamst vermeidet... Und abends dasselbe ernste Spiel auf den geselligen Veranstaltungen, welche die Verlage organisieren in der durchaus zweifelhaften Hoffnung, daß am nächsten Tage nicht nur über die Qualität des gebotenen Weines und Buffets gemäkelt werde, sondern auch die vertraglich gebundenen AutorInnen zur Mehrung des Ansehens des Hauses durch verbindliche Gespräche beigetragen haben mögen, was mit Sicherheit nicht der Fall war.
Da ist es doch beschaulicher und im eigentlichen Sinne vernünftiger, den richtigen Wald aufzusuchen, der noch nicht der kunstwerklichen Reproduzierbarkeit zum Opfer gefallen ist: Wir empfehlen den Schlachtensee, um den einmal herumzulaufen bei der derzeitigen Witterung ein reines, gesundes und wohlgefälliges Vergnügen ist. Außer einigen wenig bekannten Lehrbeauftragten der anrainenden Universität begegnet man keinem Menschen, den zu übersehen man sich die Mühe machen müßte, und die richtigen, echten, eigentlichen Blätter in der beliebt-scheckigen Färbung des Herbstes geben dem Schlurfen gleich ein ganz anderes Gefühl. „Der Wald“, sagt Bodo Kirchhoff, „ist der eigentliche Ort der Erotik, allorten samt es und reift, daß das Leben wieder zum Kunstwerk werden kann.“ Oder so ähnlich, mit Sicherheit zeitgleich zu vernehmen in Frankfurt, wo, mit Hölderlin zu sprechen, aber der Nabel dieser Erde liegt.ES
Schlachtensee, lauter Süßwasser, in ca. 1 Stunde zu umlaufen, S-Bahnen 1, 3, 7
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen