Sanssouci: Vorschlag
■ Strategien und Semiotik kollektiver Selbstdarstellung – Eine Ringvorlesung der Humboldt-Uni
Ein Unternehmen, das etwas auf sich hält, legt sich eine corporate identity zu. Ob auf englisch oder deutsch, in kyrillischen oder chinesischen Schriftzeichen: man muß die Worte nicht verstehen, um überall auf der Welt das Coca-Cola-Signet wiederzuerkennen. Selbst zwischen regensauren Baumstümpfen taucht bestimmt bald eine McDonald's-Filiale auf. Da weiß man, woran man ist. Überall auf der Welt die gleichen Snacks in vertrauter Inneneinrichtung. Niklas Luhmann würde so etwas wohl Komplexitätsreduktion nennen.
Doch corporate identity ist keine Folge des Produkts mehr; sie muß selbst produziert werden und besteht keineswegs nur aus optischen Erkennungsmerkmalen. Nach Qualität und Lifestyle versucht man es nun mit Moral. Eine Firma empfiehlt sich heute nicht mehr durch ihre Erzeugnisse, sondern durch ihr gesellschaftspolitisches Engagement. Bevor man etwas kauft, will man wissen, wer der Verkäufer ist. Und damit wir das auch merken, gibt es Reklame, Werbung wird damit zum gesellschaftspolitischen Führungszeugnis. Wenn ein bunter Blechfrosch uns versichert: „Ich war eine Dose“, dann ist dagegen ja wohl nichts einzuwenden. Die umweltfreundliche Tierwelt hat sich auch der Dinge selbst bemächtigt. Kraftmeierei ist out: Kein weißer Riese soll uns mehr versichern, daß er garantiert weißer als weiß wasche. Auch Waschpulver heißen heute „Frosch“ oder „Storch“ und beteuern uns, daß sie wirklich furchtbar nett zu unserer Umwelt sind und Tierversuche ganz abscheulich finden.
Symbol der „corporate identity“ von Banken Foto: taz-Archiv
Kurz und gut: Ohne corporate identity geht es heute nicht mehr, auch wenn nicht immer klar ist, was das im einzelnen bedeutet. Um das Phänomen auch wissenschaftlich zu durchleuchten, hat der „Berliner Arbeitskreis für Semiotik“ sich des Themas angenommen und ihm eine Ringvorlesung gewidmet. Der im September 1990 gegründete Arbeitskreis ist ein Diskussionsforum, in dem sich Semiotiker der FU, der TU und der Humboldt-Universität treffen. Und wer sich mit Semiotik beschäftigt, muß auch Zeichen setzen. Deshalb trifft man sich ganz bewußt im Osten.
Im vorigen Semester beschäftigte man sich bereits mit der „Semiotik der Selbstdarstellung“ einzelner Persönlichkeiten. Der inhaltliche Bogen reichte dabei vom spätantiken römischen Kaiser Konstantin bis zu Karl May und Ronald Reagan. Und wenn es in diesem und im nächsten Semester um die „Semiotik der kollektiven Selbstdarstellung“ gehen soll, hat man sich sowohl historisch als auch sachlich viel vorgenommen. Das Spektrum reicht von den „Antiken Topoi kollektiver Selbstdarstellung“ über die „Selbstdarstellung des Hofes im Tanz“ und „des russischen Staates in seiner Architektur“ bis hin zu „Kontexten des Selbst in Sozialpsychologie und Psychoanalyse“. Ein Schwerpunkt sind aber eben jene modernen Formen der corporate identity von Banken, Massenmedien oder auch von Wissenschaftlerteams. Im November zum Beispiel nahm Svend Erik Larsen von der Universität Odense das Verhältnis von „Corporate and corporal identity“ in den Blick. Er ging dabei unter anderem von ebenjenem Wandel in den Selbstdarstellungstechniken moderner Unternehmen aus und versuchte – mit Marcel Mauss, Jean Piaget und Alfred Schütz – die Mechanismen ihres Erfolgs und Mißerfolgs zu enträtseln.
Solche Konzepte sind letztlich nur erfolgreich, so Larsen, wenn sie den Menschen als Ganzheit, also auch seinen Körper, ansprechen. Eine gelungene corporate identity bezieht die corporal identity mit ein. Die Grundlage unseres Raumempfindens ist nicht ein abstrakt vorgestellter euklidischer Raum, sondern der „topologische“, den wir direkt von uns selbst aus, mit Bezug auf unsere Körperlichkeit konstruieren. Diese grundlegende Erfahrung muß auch die corporate identity ansprechen. Ist das vielleicht der Sinn jener Werbung, in der ein serviler Bankbeamter bei einem Hausbesuch unendliche viele Treppen steigt und schließlich schwer atmend an einer Tür klingelt? Immer mehr Banken reden nicht länger über Zinssätze, sondern präsentieren ihre freundlich lächelnden personal banker. Von Mensch zu Mensch lassen sich eben auch knifflige Geldfragen leichter lösen.
Um die corporate identity von Banken geht es dann auch in der heutigen Vorlesung. Ihre Selbstdarstellungspraktiken werden dabei von Hans-Michael Besig von der Münchner Hypo-Bank und zum anderen von Heinz-Jürgen Kristahn (HdK Berlin) unter die Lupe genommen. Da aber die Selbstdarstellung moderner Wissenschaftlerteams sich leider noch keinen Zugang zum Kabelfernsehen verschaffen konnte, setzt ein Erkenntnisgewinn hier nach wie vor körperliche Anwesenheit voraus. Rüdiger Zill
„Selbstdarstellungsstrategien von Banken“, heute um 18 Uhr. Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, Raum 2082.
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