Sanssouci: Vorschlag
■ Rüschenhemd nicht vergessen: And Also The Trees im Loft
Bitte lehnen Sie sich zurück für eine kleine Zeitreise mit den letzten Überlebenden der Post-Punk-Bewegung. Eine Bandgeschichte wie ein Märchen. Eine Band, die Klänge absondert, wie Märchenregisseure eben Märchen absondern. Ein Publikum, das Märchen liebt und hin und wieder auch schön verzierte Dracula- Filme schätzt. 1979 versammelten sich AATT in der ländlichen Abgeschiedenheit ihres Heimatdorfes Inkberow/Worchestershire, um tonale Breitwandepen für Spätexistentialisten und Früh-Gothics zu entwerfen. Hin und wieder schwamm auch eine kleine bunte Pop-Perle in jenem dunklen Liedersud, der alle Hungrigen mit beklemmender Sehnsucht speiste und alle Durstigen mit den Tränen einsam durchwachter Nächte tränkte. Zu Anfang aber gab es noch nicht so viele Hungrige und Durstige. Bis 1980 hatten AATT gerade mal zwei Gigs in ihr großes rotes Buch eintragen können, bis – ja, bis Spiderman Robert Smith persönlich, eben der Robert Smith von den allmächtigen Cure, die Mannen von den Trees zu seiner Lieblingsband erkor, und zwar nach wohlgefälligem Anhören eines Demo-Bands.
Die Trees wurden fortan den übermächtigen Schatten von The Cure nicht mehr los. Die ehemals munteren Cure aber gelangten ihrerseits zu noch größerer Berühmtheit mit diesem düster-melancholischen Sound, den sie doch eigentlich den AATT abgelauscht hatten. Nach der zweiten gemeinsamen Tour, 1984, wollte keiner mehr was vom anderen wissen, und AATT umwarben in der Folge mehr das kontinentale Publikum denn das einheimische englische. Die Bühnenpräsentation der Trees zog sich ebenso weit aus der Gegenwart zurück, wie sich die Musikanten inzwischen wieder vom Metropolenleben aufs Land zurückgezogen hatten. Man sah den Sänger, Simon Jones, in Reitstiefeln, Rüschenhemd, Halstuch und schweren Mantel gewandet – wie einer sepiagetönten Fotografie entstiegen, romantisch, nostalgisch, etwas versnobt. (Leute mit höherem Schulabschluß nennen solche Menschen gemeinerweise Dandy.) Der Angriff einer verklärten Vergangenheit auf die hektische Gegenwart gewissermaßen. Byron, Shelley, Caspar David Friedrich und all diese Jungs aus jenen Zeiten, als die Wälder noch intakt und die Bäume gesund waren. Inzwischen haben sich And Also The Trees und The Cure zwar wieder vertragen, aber die Wälder sind kränker als jemals zuvor. Man betrauere dies heute abend in angemessener Kleidung. Sie wissen schon: Rüschenhemd und so weiter... Anke Westphal
Heute abend um 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg.
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