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■ Indianisch inspiriert: Der Bassist Ed Schuller gastiert im Berliner Jazzclub A-Trane

Ornette Coleman wechselte ihm einst die Windeln, als der noch unbekannt und arbeitslos war. 1964 wohnte der damals Neunjährige auch mal in Berlin, als sein Vater, „Mr. Third Stream“ Gunther Schuller, einer der renommiertesten amerikanischen Komponisten und Dirigenten, ein Engagement an der hiesigen Oper hatte. In seiner Heimatstadt Boston studierte er am New England Conservatory of Music, 1970. Durch Jim Pepper, Saxophonist und Sänger indianischer Herkunft, lernte der Baßvirtuose und Komponist Ed Schuller seine amerikanische Heimat kennen, nicht nur musikalisch. Gelegentlich rutscht ihm noch ein Indian heraus, um sich im selben Atemzug zu korrigieren: Native American. Im Frühjahr '92 organisierte Ed ein Memorial in New York für seinen kurz zuvor verstorbenen Freund Pepper – und alle kamen und spielten, fünf Stunden lang. Mit seiner Vorjahres-CD „The Eleventh Hour“ avancierte der rastlose Brooklyner als einer der meistgefragten Bassisten des zeitgenössischen Jazz vom Sideman zum Leader. „Call it jazzlicensed World-Music“ kommentiert er die Frage nach dem Eleventh- Hour-Sound.

Es war der Schlagzeuger Paul Motian, erinnert sich Ed an seinen langjährigen Bandleader, der zwei Saxophonisten in seinem Quintett wollte, die so verschieden wie nur möglich spielen können sollten, und der sie dann auch in Joe Lovano und Jim Pepper fand. Auf „The Eleventh Hour“ hat Schuller sich bemüht, dieses Experiment mit dem Posaunisten Gary Valente und dem M- Base-Saxer Greg Osby weiterzuführen. Gemeinsam mit Hipster Dewey Redman, dem defunkten Gitarrenspieler Bill Bickford und besagtem Paul Motian gelang Schuller jetzt mit seiner Jim Pepper gewidmeten CD „MU-Point“ (TUTU) ein Höhepunkt des Jazzfrühjahrs '94.

Ed hat sich inzwischen auch daran gemacht, die Pepper-Songs in Noten festzuhalten. „Dakota-Song“ und „Witchi-Tai-To“, jenes „heilige“ Lied des indianischen Wasserrituals – „water spirits floating round my head/ make me feel that I'm not dead“ – sind lediglich die bekanntesten. „Als ich mal mit Jim Pepper in Spanien auf Tour war, sagte er: ,Ich hasse die Spanier, mit ihnen begann das unsagbare Leiden meines Volkes, mit diesem Arschloch Columbus – aber war Columbus nicht eigentlich Italiener?‘“ Mit Pepper spielte Ed in Alaska, und dort sah er, was es heißt, in Reservaten zu leben, mit Alkohol, und in Armut zu sterben und – vergessen zu sein. In Australien erfuhren sie von den Aborigines, was es bedeuten kann, wenn ein Stein am Wegrand verrückt wird. „Sie konnten ihre Lieder nicht mehr singen, denn dort hat jeder Erdklumpen seinen Platz – als hätte man ihnen Gott genommen.“ In der Tradition zu spielen heißt für Ed vor allem, seine Gefühle auszudrücken: „Music that hits; Musik, an die wir glauben können.“ In den nächsten Wochen ist Ed Schuller auf verschiedensten Sessions in den Berliner Jazzclubs zu erleben. Christian Broecking

Heute bis Samstag, 22 Uhr, A-Trane, Bleibtreustraße 1, Charlottenburg.

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