Sanssouci: Vorschlag
■ Hört, fühlt, spielt: Joshua Redman im Franz-Klub / Nachschlag i "AudioDrama" im Theater zum Westlichen Stadthirschen
Er war der Upstarter des 93er Jazz. „Believe the hype!“ begrüßte die amerikanische Jazz-Zeitschrift downbeat seine März- Debüt-CD „Joshua Redman“ mit einem Aufmacher. Als seine November-CD „Wish“ mit Pat Metheny, Charlie Haden und Billy Higgins binnen einer Woche zur meistgespielten Jazzscheibe amerikanischer Radiostationen wurde, faßte downbeat dann noch mal nach: „So, You Wanna Be a Jazz Star?“ Und tatsächlich, der Tenorsaxophonist Joshua Redman, der in Harvard Soziologie, dann Jura studierte und es irgendwie hip fand, ohne groß zu üben in der Major-Jazz-Liga spielen zu können, spricht nachdenklich über sein heutiges Tourleben in den Jazzclubs und Hotelzimmern zwischen New York, Tokio und Berlin. „Als würde man eine Schlacht verlieren“, sagt er, „jetzt, da ich wirklich üben, üben, üben müßte, habe ich keine Zeit dafür.“
Wenn er nicht gerade auf Tournee ist oder zu irgendwelchen Plattenaufnahmen und Festivalauftritten fliegt, bei denen er dann Wynton Marsalis, Joe Lovano oder seinen Vater Dewey „Hipster“ Redman trifft, macht er Promotion im Sold von Warner Brothers, auf daß der Hype nie ende. Sicher, der 25jährige Redman ist nicht die erste Nachwuchssensation der Jazzgeschichte. Wynton Marsalis sahnte bereits mit 22 Grammys ab, Miles Davis wurde mit 21 als Jazz-Star gefeiert, und und und. Aber Redman versteht sich „trotz allem erst als Anfänger“. Auch wenn sich in seinem Repertoire Coverversionen von Claptons „Tears in Heaven“ oder Stevie Wonders „Be Sure You're Sure“ finden, ist Redman bislang noch nicht in die Falle des Designer-Jazz getappt. „Es herrscht Krieg in der Welt des Jazz“, sagt er, „auf der einen Seite des Schlachtfelds haben wir die Kräfte der Tradition, Hüter der Vergangenheit. Auf der anderen Seite stehen die Truppen der Innovation, Krieger für die Zukunft.“ Und Redman wähnt sich zwischen den Gräben. Das Problem beginne nämlich da, wenn Leute über die Musik hinaus noch einen theoretischen Standpunkt mitzuteilen haben. „Das war für mich nie wichtig. Ich höre etwas, ich fühle etwas und spiele nur deswegen.“ Christian Broecking
Heute, 22 Uhr, Franz-Klub, Schönhauser Allee 36–39.
Nachschlag„AudioDrama“im Theater zum Westlichen Stadthirschen
Zum Schluß schleicht er vom Schlachtfeld wie ein gedemütigter Hund. Es ist ihm anzusehen, daß er sich nach all der Blamage am liebsten entmaterialisieren würde. Ein Verlierer. Ein Schauspieler mit Bühnenphobie. Ein menschliches Drama! Sehr erquicklich mithin für Außenstehende, also jene „vergnügungssüchtigen Primitivisten“ im Dunkeln vor der Bühne. Wenn tatsächlich Primitivisten da waren, ist es schade um die Perlen, die geboten wurden. Denn selbst wenn sich die Aufführung manchen Hänger erlaubt, ist diese Koproduktion des (Sprech-) Foto: David Baltzer
Theaters zum Westlichen Stadthirschen und der Tanz-Performancegruppe „AudioBallerinas“ überaus gelungen. Deren Plexiglas-Tutus mit eingebauter PA-Anlage, mit Lichtsensoren, Lautsprechern, Mikrophonen und einem Digital-Memory-System bieten einen tänzerischen High-Tech-Thrill, der anfangs den individuellen Erlebnisraum des blockierten Schauspielers (Dirk Nolting) kontrastiert. Traumatische Szenen entfalten sich: Raum, Zeit und Logik auf Schlingerkurs zwischen den Säulen des riesigen, leuchtend blau getünchten Spielraumes. Türen ohne Klinken versperren den Ausgang, Licht und Geräusche sind heimtückische Theatermittel, die nur ein Ziel kennen: den Schauspieler zu entblößen. Da sitzt er nun im Scheinwerferlicht, blättert hektisch in unzähligen Reclam-Heften und weiß nur eines gewiß: Er hat eine Rolle und muß sie spielen. Doch welche? Aus welchem Stück? Und warum eigentlich?
Arvo Valtons „Das Schauspiel“ ist die Vorlage des „AudioDramas“, Benoit Maubrey und Elisabeth Zündel verdichteten die Schauspielerphobie zu einem aberwitzigen Parforceritt durch die großen Werke und Gesten des (deutschen) Theaters bis zum finalen Showdown in Medienästhetik. So fällt die Tell-Handlung mit Dirndl, Schwyzerdütsch und exaltierten Schauspielergesten ins Geschehen ein. Aaach ja, das ist Theater: Hände auf Busen, Hände gen Himmel, rechts und links, alle naselang geht jemand in Ehrfurcht zu Boden oder harrt entkräftet der Labung. Köstlich! Pudel Mephisto (ein dickes Kompliment an Oliver Masucci) schließlich treibt in weißem Nachthemd und Zipfelmütze mit seinem Hecheln, Jaulen und Knurren den Faustschen Osterspaziergang auf die Spitze der Absurdität. Mit einem angebundenen Lautsprecher, aus dem Wagners Worte dringen, umzingelt er den Faust-Schauspieler, die Sprache steigert sich zum High- Speed-Mickey-Mouse-Gezwitscher. Stummfilmkomik und kabarettistische Pointen, furios gerupfte Königinnen (hervorragend: Andrea Ruppelt) folgen – der andauernde Stilbruch macht die Horrorvisionen zum Zuschauervergnügen. Wäre da nicht die Audio-Technik, die sich schmerzhaft einmischt. Zum Finale verheddern sich Worte und Sätze, die Platte hat einen Sprung, das Video steht auf Vor- und Rücklauf gleichzeitig; ein optischer und akustischer Bandsalat wird serviert. Petra Brändle
Bis 5.6., Fr–So, 21 Uhr, Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37.
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