Sanssouci: Nachschlag
■ Alliiertenabschied inclusive Anti-Landminen-Projekt: Verdis „Requiem“ in der Waldbühne
Daß im Konzertsaal einzelne Sätze einer Symphonie weder freundlich und schon gar nicht frenetisch beklatscht werden dürfen, lernt irgendwann jeder mal im Leben und merkt es sich auf wunderbare Weise. In Kirchen ging es noch strenger zu, zum einen, weil hier der Aufführungsort selbst von erheblicher Heiligkeit ist, zum anderen, weil das Repertoire insbesondere christlicher Chormusik immer nur in zweiter Linie irdischen Genüssen dient. Ob Oratorium oder Kantate: Erwünscht war ein kontemplatives, in sich gehendes und demütiges Hören der Klänge zur höheren Ehre Gottes. Was natürlich lächerlich ist, man erwartet ja auch von keinem Museumsbesucher, sich vor einem Kruzifix in Öl zu bekreuzigen. Als jugendliche Chorsänger fanden wir es trotzdem immer furchtbar degoutant, wenn nach Kirchenkonzerten geklatscht wurde. Das diente allein der sozialen Distinktion, denn von heiligem Schauder konnte auch bei uns nicht die Rede sein. Derlei Strategien des geheimnisvollen Augenbrauenhochziehens waren aber – wenn auch furchtbar arrogant und in ihrer Begründung ziemlich kompliziert – mächtig wirkungsvoll.
Damit ist glücklicherweise endgültig Schluß, die Demokratisierung und Säkularisierung des Konzertwesens ist erfolgreich abgeschlossen. Heute kann man – nach dem Vorbild der Rock- und Popmusik – nicht nur weltliche Klassik entspannt und draußen genießen. Mit einem Friedenskonzert der „Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNW) kam am Samstag abend mit Verdis „Requiem“ eine Totenmesse unters Himmelszelt der Waldbühne. Diese Organisation erhielt 1985 den Friedensnobelpreis und veranstaltet bereits seit einigen Jahren Benefizkonzerte als Mahnung und Erinnerung an historische Daten: 1990 zum Beipiel ein Hiroschima- Gedenkkonzert in Assisi, 1991 das Gedenkkonzert zum 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und 1992 das „Konzert für Lidice“. Das Konzert in der Waldbühne hatte nun gleich einen doppelten Anlaß: die Verabschiedung der Alliierten aus Berlin und einen Spendenaufruf für das „Anti-Landminen- Projekt“ der IPPNW und des Flüchtlingshochkommissars der UNO. Beide Anlässe eint mühelos der gute Zweck. Denn Verdis „Requiem“ als Totengedenkfeier berücksichtigt einerseits, daß es – so das Programmheft – „zur Würde des Abschieds gehört, unterschiedliche Erinnerungen zu respektieren“. Andererseits ist es geeignet, als „Sinnbild der Apokalypse“ auf 800 verkrüppelte oder getötete Landminenopfer täglich hinzuweisen.
Wenn man dem Programmheft Glauben schenken darf, standen auf der Bühne insgesamt 205 SängerInnen von drei internationalen Chören, flankiert von den SolistInnen und einem aus allen großen Orchestern der Welt zusammengestellten Weltsymphonieorchester unter der Leitung von Rudolf Barschei. Verdis „Requiem“ braucht diese Massen auch, schließlich war er vornehmlich Opernkomponist – der auch in seinem Requiem gelegentlich gehörig mit ihm durchging. Sein „Dies irae“ ist aber wirklich geeignet, einem Schauder über den Rücken zu jagen – auch wenn es sich wie die Pianissimo-Chöre im Berliner Nachthimmel teilweise verflüchtigte und die Adorniten vielleicht einwenden, hier würde „schönen Stellen“ das Wort geredet. Der Versuch, solche durch spontanen Beifall zu belohnen, wurde immerhin erfolgreich niedergezischt.
Das wie gewohnt mit Picknickkörben und Styroporsitzkissen hervorragend ausgestattete und angenehm gemischte Waldbühnenpublikum bekam am Eingang eine Tüte ausgehändigt, die außer dem Programmheft und einem Spendeneinzahlungsschein je einen Luftballon und eine Kerze enthielt. Auch hier hat man von Rock und Pop gelernt: Denn das Flackern der Kerzen im Dämmerlicht dient sehr schön dem Ausdruck kollektiver Ergriffenheit und Rührung, die womöglich nur noch ein Luftballon – präventiv oder nachträglich – lindern kann. Und erst dadurch wird aus einem Konzert – lichtermäßig – ein politischer Akt. Aber seien wir nicht so streng: Besser als die Paraden war es allemal. Barbara Häusler
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