Sanssouci: Nachschlag
■ Fantasy Filmfest *5*
Ein letztes Wiedersehen mit dem kürzlich in Extasy gestorbenen River Phoenix bot nun gestern abend „Silent Tongue“, der letzte Film von Sam Shepard, dem lonesome cowboy, der hierzulande vor allem indirekt durch „Paris Texas“ und „Zabriskie Point“, aber auch durch „Fool for love“ und so weiter bekannt wurde. Shepard, der selbst auf einer Farm lebt, hat einen gewissen Hang zur Mythisierung des Landlebens inclusive dessen indianischer Vergangenheit. Irgendwie sind speziell der karge Boden des Südwestens, die Kakteen, die Geier, die Feuer auf dem Feld dazu angetan, allerhand frontier poetry zutage zu fördern. Zum Auftakt sieht man River, mit zersprungenen Lippen, zerkratzter Haut und einer zerschürften Lederkluft neben so einem Feuer sitzen, es kracht und knistert, und peng!, schießt er einen Vogel, rupft ihn grob auseinander, springt auf einen Ast und legt das Bündel auf die Leiche einer Indianerin, die er oben im Baum begraben hat. Kurz darauf scheint sie ihn anzublicken, ihn anzulachen, sie tanzt, er ist froh, er will einen Kuß auf ihre Lippen... aber ach!, wieder, wie so oft auf diesem Festival, kommt es nicht dazu, im letzten Moment zeigt die Tote eine Fratze. River gibt hier Talbot Roe, den armen Sohn eines ehrlichen Farmers, der alles für ihn tun würde, aber ihn in seinem Wahn nicht mehr erreichen kann. Letztes Jahr hatte er ihm eine Frau gekauft, das Halbblut Awbonnie, im Tausch gegen drei Pferdchen. Sie konnte toll reiten, Talbot fand sie gleich klasse. Ihr Vater war Ire, er ließ sie, wie einen Elefant-Man, in seiner Kuriositäten-Show auftreten. Wenige Wochen später starb sie im Kindbett. Sie war das Produkt einer Vergewaltigung der Indianerin Silent Tongue, die so heißt, weil man ihr die Zunge herausgeschnitten hatte, so daß sie eben nicht um Hilfe schreien konnte. Diese Mutter kehrt nun, als antilopenhaft fliegende Untote, wieder und bedroht das junge Paar mit fletschenden Zähnen. Bei Shepard wirken diese ganzen archaischen Umgangsformen wie das eigentliche wahre Leben, das präzivilisierte „grausam, aber natürlich“. Wer's mag: der Film kommt demnächst auch in die Kinos. mn
Fantasy Filmfest, nur noch heute abend im Filmpalast, Eiszeit und Brotfabrik. Aufgemerkt: „Pulp Fiction“ fällt aus!
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