Sanssouci: Nachschlag
■ Der Sommer
Der Sommer neigte sich seinem Ende zu. Das Licht fiel sanfter durch müde gewordene Blätter, und die Stadt füllte sich mit Frauen und Männern, die in stillem Kummer dem dräuenden Herbst entgegenlebten. Eigentlich waren sie, unter einem gütigen Stern geboren, mit allerlei Gaben gesegnet. Die Frauen mindestens mit faltenfreier Intelligenz und einer prima Fünfziger- Jahre-Figur. Die Männer mit, sagen wir, tiefer Einsicht sowie treuem Großmut. Und doch waren sie nicht mehr so recht glücklich, die Beklagenswerten, weil, wie in alten Zeiten schon Frank Schöbel jubilierte, ein unvergleichlich „HEISSER SOMMER“ hinter ihnen lag und sie nicht ein einziges Mal Erlösung in kühlenden Fluten fanden. Sie hatten keine kurze Stunde lang gebadet, weder mit noch ohne. Da saßen diese Frauen und Männer nun in abgedunkelten Zimmern, hielten sich bei den Händen und mochten doch nicht von Herzen fröhlich sein und singen, denn sie hatten zum Wasser nicht kommen können. „Ach, mein liebes Paulimännchen“, wimmerte da im schönen Monat Juli eine dieser Klassefrauen, „mir ist ja so bullenwarm – ich mag nicht einmal mehr verführerisch meine biologisch abbaubare Soja-Dauerwelle schütteln.“ „Ach, liebes Mausezähnchen“, erwiderte ihr Paulimännchen, „du hast ja so recht.“
Aber es mangelte an Besitz, an einem flinken Fahrzeug im Revier. All die schönen klaren Seen waren, wie man es in dieser Stadt so frisch auszudrücken pflegte, „JottWeeDee“ gelegen, und weder Bimmelbahn noch Autobus, noch Fahrrad schienen geeignet, die Orte des Verlangens, nur ein wundervoll spritze- nasses Arkadien, in hopp-hopp-null-komma-nichts zu erreichen. Der Weg war gar zu lang, das Ziel gar zu weit. So trauerten unsere Frauen und Männer, all die standhaften Dialektiker und stolzen Kosmo-Nolzinnen, daheim in ihren Stubengruften, sahen Freundinnen und Freunde, Ex-Gatten sowie Ex-Gattinnen, Bekannte und Verwandte gen Norden, Süden und Westen ziehen. Die Zurückgelassenen wehklagten und barmten gar sehr und konnten ihnen doch nicht folgen, denn es war ja gar zu erschröcklich, gar zu kräfteraubend und enervierend, das Beispiel der anderen einfach nachzuahmen. Die Frauen und Männer, von denen hier berichtet wird, mußten nämlich schrecklich achtgeben auf sich, denn ihre Füße waren schmetterlingszierlich und drohten sich vorzeitig abzunutzen. Und sie besaßen jeder nur noch ein Paar Füße, denn die anderen hatten sie, als sie Kinder waren, verbummelt.
So saßen sie denn in ihrem Kummer, aber siehe da, eines Tages in eben jenem schönen Monat Juli kam eine gute Fee vorbei, die wußte Rat. „Ihr lieben Frauen und Männer“, säuselte sie und hob ihren Zauberstab Marke Hokus-Pokus, „seid nicht betrübt, denn ich bringe frohe Kunde. Hurtig, eilet zum Kaufladen Piep- Piep, das ist nur fünf Minuten Wegs, und erwerbt einige Flaschen köstlichen Sekts, Marke Piep-Piep, auf daß Ihr erfrischt und getröstet seid!“ Die Mienen der betrübten Frauen und Männer hellten sich augenblicklich auf, die Herzen wurden ihnen leicht, und anmutig sprangen sie durch den glühend heißen Nachmittag zum Kaufladen Piep-Piep, um den wundersamen Piep-Piep-Sekt zu holen. In ihre dämmerigen Kemenaten zurückgekehrt, labten sie sich am perlenden Getränk, jauchzten und scherzten und ließen es sich wohl sein. Alsdann griffen sie zum Telefon, um vierzig Zentner Kohlen für den Winter zu ordern, und wenn sie nicht gestorben sind, so trinken und jauchzen sie noch heute. Anke Westphal
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