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SanssouciNachschlag

■ Theater Unter den Leichen mit "Gräbergeburtstag"

Utz Krause und Bardia Rousta Foto: David Baltzer

Was macht ein Regisseur, der sich in ein Stück verliebt hat, aber die Aufführungsrechte dafür nicht bekommt? Er zimmert sich dichtend eine eigene, angelehnte Version zusammen. Aus „Jubiläum“ wird so „Gräbergeburtstag“. 1983, zum 50. Jahrestag der faschistischen Machtergreifung, schrieb George Tabori seine „schwarze Seelenmesse“. Darin beschreibt er die Schwierigkeiten der Deutschen und der deutschen Juden mit ihrer Vergangenheit und warnt vor dem braunen Schoß, der immer noch fruchtbar ist. Er macht das mit jenem tiefschwarzen Witz, der auch vor Auschwitz nicht halt macht, und den sich hierzulande nur Tabori himself leisten darf. Diese Beschreibung deutscher Befindlichkeit hat ihre Aktualität nicht verloren. Stefan Wieszner, der Bearbeiter, fügt dem Friedhof der wiederauferstandenen Geistesleichen nun die Wiedervereinigung als Thema hinzu. Das Personal ist – unter neuen Namen – gleichgeblieben, nur gönnt ihm der Autor keine Geschichte. Heftig fragmentarisch ist sein Elaborat und rundherum düster.

Da tappt der Geist der Wiedervereinigung (der heißt wirklich so), ein offenes Buch ums Haupt geschnürt, durch die spärlich beleuchtete Szenerie und redet im Kauderwelsch mit dem Totengräber. Ja, das sind die Kommunikationsprobleme im gesamtdeutschen Friedhofsland. Die Tiefsinnigkeiten jagen sich, aufwendig verpackt in bilderschwere Sprache. Bedeutung schreit aus jedem Satz, schlimm ist's schließlich bestellt um die Heimat. Und so dröhnt das Pathos, mit unendlicher Langsamkeit zelebriert. Den Schauspielern ist kein Vorwurf zu machen. Mit bewundernswerter Disziplin versuchen sie, ein bißchen Leben aus den bleiernen Sentenzen herauszupressen. Doch unter dem Gewicht der Welt brechen sie schreitend zusammen. So lachen und wimmern sie hysterisch und sprechen Sätze wie „Melancholie ist nicht legislaturperiodenpflichtig“. Im Kabarett könnte man über derlei Monstrositäten vielleicht lachen. Aber das darf man hier nicht. Bleibt das Bühnenbild. Martin Ostrowskis Gräberacker ist ein Kassettenraster, die einzelnen Felder gefüllt mit Sand oder Wasser. Ein klares und stimmiges Bild, das so gar nicht zur dräuenden Spielsymbolik paßt. Viel Mühe und viel Herzblut stecken in dieser Aufführung, das ist spürbar. Genießbar wird die angestrengte Leichensektion dadurch leider nicht. Gerd Hartmann

Bis 17.10., Do-Mo, 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3, Kreuzberg.

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