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SanssouciNachschlag

■ „Tränen der Heimat“ – Uraufführung des Mendelssohntheaters als Gastspiel im Fürst Oblomow

Sarah Nemitz Foto: Thomas Aurin

Eine Braut wartet auf ihren Bräutigam, um ihm das Jawort zu geben. Seit drei Tagen stülpt sie sich Morgen für Morgen das weiße Festkleid über, die Hochzeitsgesellschaft versammelt sich täglich aufs neue, um des großen Ereignisses zu harren. Der Ehrenbraten hat mangels Haltbarkeit schon am ersten Tag den Weg in die Mägen gefunden, Kaffee und Kuchen hielten die Gäste am zweiten bei der Stange. Am dritten trauungslosen Tag wird es schwieriger, die Contenance zu bewahren, die Masken bröckeln.

Das könnte eine absurde Ionesco-Komödie sein, wären da nicht die Umstände des verhinderten Ehebunds. Die Heirat soll als Ferntrauung stattfinden. Die Heiratskandidatin wartet auf eine Funkverbindung, der Bräutigam kämpft gerade für den Endsieg bei Stalingrad. In den letzten Kriegsjahren gab es die Möglichkeit der Eheschließung per Äther tatsächlich, von den Nazis propagandawirksam als emotionaler Schulterschluß zwischen Heimat und Front ausgeschlachtet.

In Lutz Hübners Debütstück „Tränen der Heimat“, das in seiner eigenen Regie am Freitag im Fürst Oblomow uraufgeführt wurde, existiert die groteske Festgesellschaft nur als Erzählung. Die Braut steht alleine im schalldichten Radiostudio und redet an die Wände, hinter denen unsichtbar und schweigend die Techniker sitzen, die vergeblich versuchen, eine Funkverbindung zustande zu bringen. Ein Kinosessel und ein Standmikrophon sind die einzigen Utensilien. Wie ein Totem steht der Stimmumwandler da, Hoffnungspfahl und Feind zugleich.

Trotzig versucht sich die Braut bei Laune zu halten, ehern spricht sie gegen ihre Zweifel an. Eine gute deutsche Frau will sie sein, sich den Wünschen ihres hitlertreuen Gemahls fügen. Doch in der hermetischen Leere des Studios wird aus dem Hochzeitsmarathon ein Kampf um die Selbstbestimmung. Sarah Nemitz' Braut ist von vornherein eine starke Persönlichkeit. Nur mühsam preßt sie ihre Kraft in das Korsett des ungeschminkt dienenden Männerinstruments. Ihre Sehnsucht nach Leben ist am Ende stärker. Den Kampf um eine Identität jenseits des ideologisch vorgegebenen Frauenbildes gewinnt sie. Der Text streift den politischen Hintergrund allerdings nur oberflächlich und nimmt ihn eher als Vehikel zur Entwicklung einer interessanten Frauenfigur. Erklärungen für das Mitläufertum bleiben meist im Naheliegenden stecken. Dem setzt Sarah Nemitz ein differenziertes Portrait entgegen, genau balancierend zwischen Komik und Ernst. Das ergibt hochkarätiges Schauspielertheater. Im Thema steckt aber weit mehr. Gerd Hartmann

„Tränen der Heimat“ von Lutz Hübner, noch heute, 21 Uhr, Mendelssohntheater im Theater Fürst Oblomow am Hackeschen Markt, Neue Promenade 6, Mitte.

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