Sanssouci: Vorschlag
■ „Am Ziel“ von Thomas Bernhard in der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters
Die eine redet, die andere schweigt. Die herrische Mutter grantelt drauflos wie nur je eine von Thomas Bernhards monomanen Greisenfiguren. Sie schimpft auf ihren Ehemann, auf die Jugend und immer wieder aufs Theater und seine Zuschauer: „Sie werden von der Rampe herunter geohrfeigt/ und beklatschen das/ Es gibt keine größere Perversität/ als die Perversität des Theaterzuschauers.“ Die dienende Tochter schweigt, ein Schweigen zwischen Gehorsam und Rebellion. Die Figuren in Bernhards Stück sind „Am Ziel“ und gleichzeitig hektisch auf der Flucht. Jedes Jahr sehnt sich die Mutter nach dem Sommerhaus am Meer, um sich dort nur noch ärger zu langweilen als zu Hause. Allein das Reden lenkt sie von ihrem Weltekel ab.
„Am Ziel“, 1981 in Salzburg uraufgeführt, ist als Lesestück ziemlich langweilig. Ganz anders in Karl Gassauers Inszenierung. Er konzentriert sich auf den grimmigen Humor, der in den Monologen der Mutter verborgen ist. Es gelingt sogar, aus dem fast handlungslosen Stück Situationskomik herauszuholen – etwa wenn der „dramatische Schriftsteller“, der die beiden Damen ans Meer begleitet, die Spielregeln des Machtkampfes zu begreifen beginnt. Ursula Werner als Mutter beherrscht den Raum mit ihren weit ausgreifenden Bewegungen, selbst wenn sie im Lehnstuhl festsitzt. Ihre vitale Ausstrahlung läßt die zynische alte Tyrannin fast liebenswert erscheinen. Die Stimmlage fällt immer wieder ins Vulgäre – passend genug, denn die Mutter hat sich aus kleinen Verhältnissen hochgeheiratet. Die Tochter (Katka Kurze), brav frisiert und in flachen Schuhen, lauscht ihr Nils Brück und Ursula WernerFoto: Thomas Aurin
mit erstarrtem Gesicht, die Arme an den Körper gepreßt. Auch wenn sie der Mutter den Rücken kehrt, erwartet sie ihre Befehle.
Den dramatischen Schriftsteller (Nils Brück) erkennt die Mutter schnell als Seelenverwandten, aber auch als möglichen Rivalen. In dem beliebig wirkenden Bühnenbild aus altmodischen Möbeln und halbblinden, später von Jalousien verdeckten Spiegelwänden umkreisen sich die drei beim Machtspiel. Die Studio- Intimität läßt auch subtile Zeichen sichtbar werden: den stummen Schrei nach Hilfe in den Augen der Tochter, das ermutigende Zwinkern des Dichters, der im nächsten Moment selbst vom Redestrom der Mutter überrollt wird. Das ist witzig und spritzig — gefährlich allerdings nicht. Miriam Hoffmeyer
Nächste Vorstellungen: heute sowie 16. und 22.11., 20 Uhr, MGT-Studiobühne, Hinter dem Gießhaus, Mitte.
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