piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ „The Fairy Queen“ im Theater am Halleschen Ufer

Zunächst geht es gar nicht richtig los. Die Frauen sind noch nicht gepudert, und die Männer laufen ohne Hosen durch die Gegend. Kopfloses Durcheinander auf der Bühne, aber hinter der Kulisse wird schon die Ouvertüre gespielt. Der unvermeidliche Kühlschrank wird herbeigerollt, und die unvollständig bekleideten Herren und Damen nehmen auf Anglerstühlchen Platz. Jetzt könnte das Schauspiel eigentlich beginnen. Aber die Opernadaption „The Fairy Queen“, basierend auf dem „Sommernachtstraum“ von Shakespeare und der Musik von Henry Purcell, gibt sich mit altmodischem Kleinkram wie Handlung nicht ab. Der Tumult, der am Anfang wie eine Szene „vor dem Theater“ erscheint, durchzieht das ganze Stück. Wer die Geschichte nicht bereits kennt, ist an diesem Abend verloren.

Denn die einzelnen Szenen sind zwar von Shakespeares Komödie inspiriert, setzen aber eigene, von der Geschichte abgelöste Assoziationen um. Nur in Sprachfetzen taucht der Text überhaupt auf, wird in ein Telefon gebrüllt oder unbeteiligt in die Schreibmaschine gehackt. Das Ganze wird auf einzelne Motive reduziert, die, dem Träumen ähnlich, sich immer wiederholen. Dazwischen hängen die lyrischen Gesangseinlagen wie Relikte einer Innenwelt, die dem tollen Treiben nur für kurze Zeit Einhalt gebieten können.

Eigentlich geht es bloß um Liebe, und das heißt hier, wie so häufig, Sex. Eine Frau liebt einen Mann, der eine andere Frau liebt, die wiederum... Weil es doch immer das gleiche ist, scheint es dem Regisseur Rhys Martin völlig wurscht, ob irgend jemand versteht, wer da eigentlich mit wem liebäugelt. Alles geht drunter und drüber, aber keiner weiß, warum. Das nervtötende Telefongeklingel zeigt an, daß das Ganze trotz der vorbeihüpfenden Elfen und der Barockmusik nicht in grauer Vorzeit spielt. An einer Festtafel wird Champagner umhergespuckt, während der Sänger mit der Sängerin imaginierten Beach-Ball spielt und ein Typ von vielen Frauen hintereinander bestiegen wird. Zettels Traum, als Penthouse-Party inszeniert, wird zum gräßlichen Alptraum.

„The Fairy Queen“ ist die ambitionierte Koproduktion verschiedener Off-Theater aus Berlin und Bonn, Cottbus, Münster und Bochum. Gemeinsam improvisatorisch erarbeitet, entstand eine vollständig entzauberte Fassung des Stoffes, in welcher zusammen mit den Mythen leider auch die Spannung über Bord ging. Die Reduzierung der Geschichte auf Promiskuität und Dekadenz allein ist wenig aussagekräftig. Und auch die im einzelnen einfallsreichen Gags halten den Abend nicht zusammen. Selbst die Musik, in einem die Jahrhunderte umfassenden Arrangement von Saxophon, Vibraphon und dem üblichen Continuo- Baß, bleibt meist langweilig, da sie, abgesehen von den Gesangsarien, nur als beschaulicher Hintergrund fungiert. Musikalische Höhepunkte sind eine Jazzeinlage am Cembalo (Vivian Lee) und das hervorragend gespielte Cello (Katja Morgenstern). Ansonsten aber zieht sich das Spiel der traumhaften Assoziationen und alptraumhaften Ereignisse über drei Stunden lang hin, und das ist selbst für einen schönen Traum zu lange. Christine Hohmeyer

„The Fairy Queen“, Opernadaption nach Henry Purcell, noch bis 27.11., täglich 20 Uhr, im Theater am Halleschen Ufer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen