Sanssouci: Nachschlag
■ Grotesk: Ein Liederabend mit Irm Seufert
Irm Seufert, Sopranistin, selbsternannte „Fürstin des Grauens“ und Protestbriefschreiberin, ist über die Welt, den Gang der Geschichte und über alle „Raucher (auch Raser und Raufer)“ so entsetzt, daß sie dagegen eine eigene Unterhaltungsform geschaffen hat. Zwischen ihren Liedern wird mit dem Publikum geredet und diskutiert, halbe Sätze sind das Markenzeichen der Verständigung. Weil Irm Seufert keinen Gedanken zu Ende spricht, wird von ihrer Botschaft das Allereinfachste verstanden, ohne daß sie den Rest noch aussprechen muß.
Mal in knalliges Pink mit rosaroten Stiefeln, mal in Silber gehüllt, tritt die aus der „Einöde stammende Sängerin“, wo alles „harmonisch, jetzt auch hormonisch ist“, auf. Sie singt Lieder der russischen Komponisten Rimsky, Borodin, Mussorgsky, Balakirev und Cui, was ihr als Anlaß genügt, um über deutsch-russische und deutsch-deutsche Beziehungen zu philosophieren. „Marshallplan; Carepakete; die Angst der Russen vor den Deutschen; als mein verehrter Willy Brandt 1972 ...“ sind Stichworte, aus denen sich der Kontakt zum Publikum ergibt. Warum die Russen in der DDR von den Deutschen abgeschottet wurden, will eine ältere Frau wissen. Ein Mensch aus Halle, der mit Kindern für den Umweltschutz reimt – „Ich und du Ökolu, Ökoesel, der bist du“ –, beantwortet der Dame, die derweil eingenickt ist, die Frage. Daraus entspinnt sich wiederum eine Diskussion, die in dem entrüsteten Aufschrei eines ehemaligen NVA-Soldaten gipfelt, daß der Krieg nicht nur männlich, sondern auch weiblich sei.
Im zweiten Teil des Abends im Kulturhaus Mitte steht die Zukunft Berlins auf dem Programm. „Berlin, Hauptstadt, Überhauptstadt. Zwei Weltkriege aus dieser Stadt sind genug. In jedem Backstein steckt Größenwahn. Mit den Politschranzen, dem Politgesindel kommt ein Fremdkörper. Für die politische Effizienz würde ein Vereinslokal in Oggersheim reichen.“ Da kann sich auch das Publikum nicht mehr zurückhalten. „Berlin muß frei bleiben. / Meine Meinung ist aber nicht gefragt. / Sie können ja in eine Partei eintreten oder schnell noch eine gründen. / Ich habe in Rostock vier Jugendliche mit Schießprügeln gesehen. Sie haben recht, der Krieg ist männlich.“ Dann endlich wirft einer aus dem Saal Irm Seufert den Ball zu, auf den ein Großteil schon den ganzen Abend gewartet hat: „Berlin ist auch Raucherhauptstadt.“ Die Sopranistin, als militante Nichtraucherin bekannt, hat dazu einiges zu sagen. Das geht so lange, bis die Entrüstung verraucht. „Ich kann mir nicht mehr helfen“, ruft einer, dem die Welt zu schlecht geworden ist. Und Seufert gibt zurück: „Ich auch nicht, aber ich muß jetzt singen.“ Waltraud Schwab
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