Sanssouci: Vorschlag
■ Gänsekiel und Hermes Baby: Ausstellung im Literaturhaus
Schreiben ist kein einsames Geschäft. Einer oder eine ist immer dabei: der Stift oder die Maschine. Kein Wunder, daß sich eine ganz eigene Beziehung zwischen dem Schriftsteller und seinem Schreibwerkzeug entwickelt: Der Strohhalm im reißenden oder stockenden Strom des Schreibprozesses wird zum Fetisch. Zeugnisse solcher libidinösen Besetzungen sind seit einigen Tagen im Literaturhaus zu sehen. Eine Kulturgeschichte der Schreibwerkzeuge zeigt die Ausstellung „Der Gänsekiel oder Womit schreiben?“, die wie ihre Vorgängerin „Das weiße Blatt oder Womit anfangen?“ (vgl. taz vom 21.9.94) aus dem Marbacher „Schiller Nationalmuseum“ übernommen wurde. Schreibstimulantien und -orte sollen folgen. Mit ihren sechs Vitrinen, Schillers Sekretär und seinem Klio-Gemälde wirkt sie wie eine Ouvertüre zu sich selbst und zeigt doch lückenlos den Übergang von natürlichen zu industriellen Produkten.
Für die Fetischisierung eigneten sich die von Schiller und Mörike benutzten Gänsekiele weniger: die seit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches gebräuchlichen Federn verbrauchten sich durchs Anspitzen mit dem Federmesser einfach zu schnell. „Hole der Henker die Federn von Stahl“, schleuderte Mörike ihren Nachfolgern entgegen: Sie waren unflexibler und durchbohrten allzuleicht das Papier. Mörike benutzte auch Bleistifte und verzierte sie mit mäandernden Mustern. Ein zerbrochenes Schiefertäfelchen trug er mit einem eingravierten Epitaph zur ewigen Ruhe: „O liebes Täflein! so zu enden!“ Dann folgt auf Schreibpulte, Tintenfässer, Siegelringe, Füllfederhalter ein „sauberes Maschinchen“: 1908 erstand Hermann Hesse eine gebrauchte „Smith Premier No. 4“ und war entzückt. Nicht mehr die schmerzende Hand, nur noch der Kopf setze dem Schreiben nun eine Grenze. Außerdem seien Umfang und Qualität des Textes besser einzuschätzen – die Maschinenschrift objektiviert.
Hesses Bemerkungen berühren die von der Ausstellung ausgesparte Frage, inwiefern „unser Schreibzeug mit an unseren Gedanken arbeitet“ (Nietzsche). Ihr geht heute abend Friedrich Kittler nach. Was wird er wohl sagen zu Peter Härtling, der die mit „Hermes Baby“, Füllfederhalter und Diktiergerät überarbeiteten Manuskripte von seiner Frau am Computer abtippen läßt? Kittler, übernehmen Sie! Jörg Plath
Vortrag von Friedrich Kittler: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Fasanenstraße 23. Ausstellung „Vom Schreiben 2: Der Gänsekiel oder Womit schreiben?“ bis 19.2., Di.–So., 11–19 Uhr.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen