Sanssouci: Nachschlag
■ „Partyfred in Wonderland“ / Mode im „Eimer“
Der Frühling ist ausgebrochen. Am Samstag schwärmten die Berliner in ihren Autos aus: Die Rosenthaler Straße rauf, die Oranienburger runter und auch die Potse lang – ein Stop-and-go- Verkehr wie zu besten Hochsommerzeiten. Schlangen vor dem „Doughnuts“, eine Menschentraube auch vor dem „Eimer“. Das wundert zunächst nicht, ist doch das DJ-Duo „The Hammond Inferno“ angesagt, das regelmäßig frühzeitige Torschlußpanik auslöst: Wer nach 23 Uhr kommt, kommt wegen Überfüllung nicht mehr rein (wo, wird natürlich nicht verraten). Heute jedoch ist alles anders, die „Infernos“ sind „nur“ Beiprogramm, unter den Gästen sind so Unaufgeklärte wie die Dame hinter mir, die sich nach der fünften Hammond-Orgel-Ballade beim Warm-up fragt, ob dies nicht alles eine Verarsche sei. Aber nein, das ist das „Radical Easy Listening“-Konzept; wesentlicher Bestandteil sind französische Chansons der Sechziger- und Siebziger-Ära, garantiert Pulp, nicht immer jugendfrei, dafür schweißtreibend und so infernalisch fröhlich, daß selbst der Sesamstraßensong dazwischen gut kommt. Im „Eimer“, in dieser farbenfrohen Bruchbude schönster ostberlinischer Prägung, gab es ausgiebig Gelegenheit, „Partyfred“ zu begutachten. „Partyfred in Wonderland“ nannte sich die Modenschau „anderer Art“. Partyfred war eine Mischung aus Tarzan, Prinz Eisenherz und Cowboy und ausgesprochen geschmackvoll bedresst: Goldhosen, die von einem getigerten Cowboyschutzumschlag dekoriert wurden, getigertes auch um die Brust.
Während in Paris die Fashionkings und -queens ihre Models auf den Laufsteg schicken, präsentieren hier zehn Lette-SchülerInnen Berliner Schick zum Thema Märchen. Um Mode ging es dabei weniger. Die Inszenierung, garniert von einem aufwendigen Klang-/Geräusch- und Musiksampler, beanspruchte die Phantasie der ModemacherInnen offensichtlich völlig. Aus dem Rahmen fiel bloß Anna Cafetzakis Kreation für eine Bauchtänzerin: Kronkorken ersetzten Straß und Perlen. Die Schneekönigin hingegen schält sich aus ihrer weißgraublauen Tüll-Improvisation, denn sie ist in Wahrheit Trapezkünstlerin. Ihren glitzernden Body präsentiert sie folglich gefährlich frei über der Menge schwebend. Ein andermal kämpft Schneewittchens Stiefmutter akrobatisch gegen eine ominöse Figur, die es im Märchen nicht gibt, schließlich wird die Popcorn werfende Frau Holle von Akrobaten in schnell zusammengeflickten rotweißen Fetzen überfallen. Da endlich ist alles klar: Eine schrille Drohung ertönt, Schüsse knallen aus dem Lautsprecher, eine wohlbekannte Melodie prasselt auf uns nieder. Wir sind in „Pulp Fiction“. „Uma“ und „John“ – gewisse Ähnlichkeiten lassen sich nicht von der Hand weisen – tanzen uns eins. Doch sie tanzen in Schuhen, welch ein Fauxpas! Und ihre Bewegungen haben nichts vom lässigen Understatement der Vorbilder aus dem Film. Der Weg von der Party zur Pret-à-porter, von Berlin nach Paris, ist lang. Selbst wenn sie wollten: die Phantasie reicht noch lange nicht. Petra Brändle
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