Sanssouci: Nachschlag
■ Borcherts "Draußen vor der Tür" im carrousel Theater
Jörg Seyer als Kriegsheimkehrer Foto: Thomas Aurin
Zu meiner Gymnasialzeit, Anfang der Siebziger, war „Draußen vor der Tür“ gerade noch Pflichtlektüre im Deutschunterricht. Die zwei Dekaden davor war es fester Repertoirebestandteil in jedem besseren Stadttheater. Pflichtprogramm in Sachen Vergangenheitsbewältigung, das Drama über die verlorene Generation der jungen Kriegsheimkehrer. Danach war es mit der Pflicht vorbei. Wolfgang Borcherts symbolgeladener Kreuzgang zwischen Verzweiflung und Hoffnung verschwand in den Schubladen. Nicht ganz zu Unrecht. Aus der eigenen Erfahrung kurz nach Kriegsende geschrieben, ist es ein treffender, wütend-trauriger Zeitspiegel. Übertragbar auf andere Umbruchssituationen sind die bohrenden Fragen an das mit dem Überleben beschäftigte Deutschland nur bedingt. Manuel Schöbel versucht in seiner Inszenierung jedoch genau dies. Auf den historischen Zusammenhang verweist er, trotz des 8. Mai als symbolträchtiges Premierendatum, nur in Ansätzen. Um die mentalen Auswirkungen der NS-Herrschaft geht es kaum. Schöbel spannt, auch mit Texteinschüben, den Parabelbogen zum Hier und Heute.
Dazu steht eine monströs graue Endzeitkonstruktion hinterm semitransparenten Vorhang, der eine Wand zu den Zuschauern bildet. Unter einem Brückenbogen könnte das sein, oder auch in der Kanalisation, an einem kalten Unort jedenfalls. Und dort handeln Unpersonen, Thesenträger, die ständig beweisen. Begleitet von dräuender bis kitschiger Musik defilieren die Halb- und Untoten, die Davongekommenen des großen Krieges, die stur in die Zukunft blicken wollen und kein Ohr für die Fragen eines verkrüppelten Kriegsheimkehrers nach Schuld und Verantwortung, nach verlorener und verschütteter Lebensperspektive haben. Schöbel inszeniert klassisches Betroffenheitstheater. Seine Schauspieler springen zwischen Gefühligkeit, Geschrei und gelegentlichen Turnübungen hin und her. Ehrliche Töne gibt es nur hin und wieder. Die mittlerweile leider zum Standard gewordene Spielplanfrage im carrousel Theater stellt sich auch hier: Was hat dieses Stück, in dieser nicht gerade jugendgerechten Inszenierung, neben Fo, Tabori, Shakespeare und anderen in einem Kinder- und Jugendtheater verloren? Gerd Hartmann
10./11. 5., 18 Uhr, carrousel Theater, Hans-Rodenberg-Platz.
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