Sanssouci: Nachschlag
■ Von Traum zu Traum: „Medea“ im Parkhaus Treptow
Das Ende ist vorgezeichnet. Die Umrisse der Figuren auf dem Boden laden zum Niederlegen ein, zum Schlafen, zum Träumen. König Kreon sucht sich als erster seinen Platz dort, der letzte ist der eitle Held Jason. In Nina Tannebergers Inszenierung der „Medea“ des Euripides wandern die Figuren von Traum zu Traum – von einer Bank hinter der Spielfläche, auf der sie vor ihrem Auftritt sitzen und schläfrig mit den Füßen im Wasser plätschern, bis zu ihren luftigen Gräbern aus Kreidestrichen. Kreon, in Morgenmantel und Schlappen, murmelt seine zornigen Befehle mit schlafwandlerischer Ruhe. Die durch monströse Kunstbrüste aufgeplusterte Amme glotzt träge auf die schicksalhafte Entwicklung. Wach, gespannt und stets auf dem Sprung ist nur ihre Herrin. Silvia Freunds Medea gibt sich durchaus damenhaft. Aber jede ihrer gemessenen Bewegungen spricht von mühsam gezügelter Energie. Wenn die drahtige kleine Frau mit den anderen Figuren verhandelt, verrenkt sie sich in eine steife Leidenspose und klagt mit sanfter, monotoner Stimme. Doch unter dieser Starre lauert eine katzenhaft schmiegsame Geschmeidigkeit. Boshaft ins Publikum zwinkernd, verrät Medea ihre mörderischen Pläne und nimmt dabei einen Schluck aus dem Flachmann, als wäre sie die Heldin einer Kriminalkomödie. Warum auch nicht, vielleicht träumen die anderen ihre Verbrechen ja nur.
Stummes Zentrum der Aufführung, für die sich acht SchauspielerInnen der Berliner Off-Szene zur Gruppe „Die Argonauten“ zusammengeschlossen haben, ist Jasons und Medeas Kind (Boney Hungerhook). Das häßliche Riesenbaby sitzt steif in der Mitte und faltet unentwegt winzige Papierschiffchen. Auch das leise Plätschern und das Wellenspiel des Lichts auf einem glänzenden Vorhang beschwören das Meer des Mythos (Bühne: Ulrike Müller/Ulrich Amling). Der Autismus des Kindes ist nur die Steigerung der Selbstbezogenheit der anderen Figuren. Und trotzdem verbindet die grenzenlose Schwäche dieses abgekapselten Opfers die Täter, die es manchmal verstohlen und zärtlich berühren. Als es ans Sterben geht, rappelt sich der Junge ungeschickt auf und legt sich zu den anderen Träumern. Euripides' Chor fällt aus, die Götter haben hier nichts verloren. Singend geht Medea hinaus, ein Phantom, schlaflos und sehr allein. Miriam Hoffmeyer
Die Argonauten spielen die „Medea“ des Euripides noch von heute bis zum 24.6. und vom 28. bis 30.6., 19.30 Uhr, Parkhaus Treptow, Puschkinallee 5
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