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■ Günter Dallmann liest in der Buchhandlung Zimmermann

„Die Welt ist so groß und reich und das Leben so mannigfaltig, daß es an Anlässen zu Gedichten nie fehlen wird“, vertraut Goethe seinem Sekretär am 18. September 1823 an und bekennt: „Von Gedichten, aus der Luft gegriffen, halte ich nichts.“ Das könnte ein Leitsatz Günter Dallmanns sein, des deutsch-schwedischen Lyrikers und Publizisten, der seine ersten Verse vor beinahe sieben Jahrzehnten veröffentlichte. „Armut ist ein großer Glanz aus innen / Gehste stempeln, Mensch, dann denke dran!“ parodiert der junge Dallmann die vermeintliche Verstiegenheit Rilkescher Dichtung. Es war die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Die politischen wie die litera- Foto: A.W. Mytze Verlag

rischen Lager polarisierten

sich.

1911 wurde Günter Dallmann als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren. Er engagierte sich in der Roten Studentengruppe, schrieb unter dem Pseudonym Lot Anker unter anderem in der Weltbühne wie auch in Münzenbergs Arbeiter Illustrierten Zeitung und hatte somit Gründe genug, 1933 das Weite zu suchen. Dallmann verschlug es über die Schweiz und Frankreich nach Schweden, wo er begann, die Landessprache zu lernen, und bereits wenig später Beiträge für die großen schwedischen Blätter schrieb. Von seinem Exil aus beobachtete er die „Gleichschaltung“ des Lebens in Deutschland und den zunehmenden Terror gegen die jüdische Bevölkerung. Der Marxist Dallmann fällt nicht auf die Scheinalternative „Hitler oder Stalin“ herein: „Daß der Sozialismus über Leichen / geht und Ideologien, / schwindelt man in Moskau, in Berlin. / Doch es schmecken diese Hohn- und Lügenworte / nur nach angebrannter Propagandatorte.“

Nach dem Krieg kehrt Dallmann, inzwischen schwedischer Staatsbürger, noch einmal für zwei Jahre als Journalist nach Berlin zurück. In dieser Zeit (1953) entsteht sein Gedicht „Eckensteher“: „Die Onkels und die Tanten / und die anderen Verwandten / hat der Gasmann ordnungsgemäß geholt- / sind alle gehorsam verkohlt.“ Über zwanzig Jahre vertritt der Publizist den Berliner Tagesspiegel und den Kurier in Stockholm. Noch 1993 schreibt er für die inzwischen eingestellte Weltbühne, die sich von vier Jahrzehnten Etikettenschwindel nicht mehr hat erholen können.

Bei seiner heutigen Lesung trägt Günter Dallmann vielleicht auch seine sechzig Jahre alte Ode auf die U-Bahn vor, eine negative Utopie, die die Wirklichkeit von heute nur um Nuancen verfehlt: „Gäb's in Berlin Tür-Automaten- / der Endeffekt wär' zu erraten! / Denn keiner würde keinem weichen / und täglich würden hundert Leichen // zu Mus zermanscht im Türspalt hängen / und noch als Mus sich hart bedrängen.“ Peter Walther

Heute, 19 Uhr, Buchhandlung Zimmermann, Schloßstraße 29, Charlottenburg

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