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■ Alles ist offen in Kaliningrad: Andreas Voigts Dokfilm „Ostpreußenland“ im Toni in Weißensee

Der Dokumentarfilmer Andreas Voigt hat sich einer heiklen Aufgabe gestellt: „Ostpreußenland“. Eine Reise, die von Berlin aus genau 559 Kilometer nach Osten führt. Ankunft Kaliningrad. Oder eben Königsberg. Voigt benennt es russisch. Die meisten seiner Interviewten, obwohl sie oftmals nur noch rudimentäre Deutschkenntnisse haben, bevorzugen die deutsche Version. Wer je das revanchistische Gelaber deutscher Reisebushorden belauscht hat, die ihre „alte Heimat“ besuchen, kann sich kaum einen Film zu diesem Thema vorstellen, in dem nicht schon beim ersten Interview ein verkappter Nazi vor der Kamera beschimpft wird.

Voigt wird erst in der Mitte seines Films explizit: „Wie war das hier im Krieg?“ fragt er. – „Wir hatten drei Monate Stellungskrieg im Endkampf um Königsberg ...“ „Singen Sie doch mal ein Soldatenlied!“ – „Polenmädchen ...“ „Polen wurde doch überfallen, oder!?“ – „Die Polen wollten den Krieg, die wollten Deutschland angreifen. Aber wir müssen in die Zukunft schauen: Schirinowski, Oder-Neiße-Linie – alles ist offen. Viele Polen wünschen sich eine deutsche Verwaltung.“

Derlei Hardcoresprüche sind die Ausnahme. In den meisten Interviews unternimmt der Ex-Defa-Dokfilmer Voigt einen Spagat. Manchmal, wenn die Kamera einen polnischen „Manhattan- Grill“ im Abendlicht zeigt, sind wir kurzzeitig in einem östlichen Roadmovie. Dann aber, und das ermüdet auf Dauer, arbeitet Voigt nach der alten Maxime: Kamera im schäbigen Pausenraum oder Wohnzimmer aufstellen, drei Arbeiter im Schmutzkittel davorsetzen, Fragen stellen, Antworten bekommen. Natürlich sind diese Antworten in der Fischfabrik heute andere als vor acht Jahren. Jetzt sind die Arbeiterinnen Aktienbesitzerinnen, wissen nicht einmal, was das bedeutet und bekommen seit Monaten keinen Lohn mehr. „Wir holen den Chef, bei dem werden wir uns beschweren.“ Das alte Sozialismus-Gefühl gibt es also noch. Der Chef kommt aber nicht.

Rund um Königsberg/Kaliningrad stehen scheinbar alle auf deutsche Wertarbeit. Ob Maschinengewehre oder Ziegel: Material aus Deutschland ist am haltbarsten. Neue Häuser werden mit Predigten an die deutsche Frage eingeweiht, die hier offen steht wie ein Scheunentor: „Die Kapelle kommt aus Südtirol, das gehört im Moment noch zu Italien.“ Ein bißchen weniger biederes Dokutum und ein paar mehr Menschen, die nicht antworten, was man erwartet, hätten dem Film gutgetan. Oder gibt es die in „Ostpreußenland“ einfach nicht? Andreas Becker

„Ostpreußenland“, Dokumentarfilm von Andreas Voigt. Heute, 22 Uhr, Kino Toni, Antonplatz, Weißensee

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