piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Vollschlanke Stimmen: Jürg Kienberger and friends im Prater

Die Volksbühne, mal ganz „gepflegt“: Auf den Tischen im Zuschauerraum sind Salzstangen angerichtet. Die Damen auf der Bühne tragen Lidschatten und Etuikleider, die Herren blütenweiße Jacketts, und die vergilbt wirkenden Programme sind mit zart gewundener Schnörkelschrift beschrieben: „Heiße Rhythmen! Heiße Kienberger, freut mich“.

Acht Schauspieler-Kollegen und drei Musiker hat Jürg Kienberger für die heißen Rhythmen im Prater zusammengetrommelt und selbst den Pianopart übernommen. Das Programm bewegt sich in lustigen Sprüngen quer durch die Jahrhunderte und zurück: von Haydn zu Paul Simon, von der neuen deutschen Welle zum traditionellen Gesangsvereins-Kitsch. Die vollschlanken Stimmen erfreuen, auch wenn sie den klassischen Stücken nicht ganz gewachsen sind. Aber das Schönste an dem Abend ist die Diskretion, mit der er sich über die eigene Gepflegtheit lustig macht. „Als der Liebste mich besessen...“ schmachtete Evelyn Künneke in den Dreißigern, und ein Männerchor fiel ein. Kienberger dreht die Geschlechter einfach um und läßt gefallene Männer „die Liebste“ anklagen. Dazu klagt ein geräuschempfindlicher Hund wiederum die Sänger an. Und kaum hat man eine Gag-Serie als solche erkannt, ist sie auch schon beendet – so wie auch manche Schlager einfach nicht zu Ende gesungen werden. Dann wieder rezitieren die Sänger ein Liebesgezänk in vier Sprachen, und erst wenn sie anfangen zu singen, merkt man, daß das der Text einer Motette von Orlando di Lasso war.

Während des ganzen Programms werden neben der Bühne Dias an die Wand projiziert. Die schlecht belichteten Bilder, offenbar aus privaten Sammlungen, setzen Kontraste zur südwärts drängenden Sehnsucht der Schlager (Plattenbauten) oder unterstreichen sie (Schnappschüsse vom Urlaub). Ab und zu sind auch unaufdringliche Botschaften in altmodischer Handschrift dabei, die niemand befolgen kann. „Alle mitsingen!“ heißt es ausgerechnet bei einem besonders schwierigen Brahms-Lied. Und wenn das Wort „Pause“ erscheint, geht das Programm trotzdem weiter – mit einer angenehmen Änderung: Die Sängerinnen servieren jedem Gast ein Getränk von zuckriger Exotik, das eigens für diesen Abend kreiert wurde. Miriam Hoffmeyer

„Heiße Rhythmen! Heiße Kienberger, freut mich“, heute, morgen und 10.3, 21 Uhr, Prater, Kastanienallee 7–9

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen