Sanssouci: Nachschlag
■ Die Berlinerin Sibylle Pomorin mit drei Istanbuler Virtuosen: Zusammenkomponieren, was zusammen gehört
Endlich ein Anfang: Der Versuch einer Synthese zwischen klassisch abendländischer und klassisch orientalischer Musik wurde gemacht. Die Berliner Komponistin Sibylle Pomorin – eine die bisher vor allem als eigenwillige Saxophonistin von sich reden machte – hat zusammenkomponiert, was in vielen Berliner Hinterhöfen bereits zusammengehört. Dort durchdringen sich die kunstvoll ausgeschmückten Melodieläufe der türkischen Musik längst mit den Etüden studentischer Streichertrios, und der Ehrlichkeit halber muß auch der trommelnde Regenmacher im Parterre erwähnt werden. Daß diese verschiedenen Musikstile sich gegenseitig befruchten können, ist keine pseudoerotische Phantasie. Denn die Frage ist ernst gemeint: Warum eigentlich partizipieren die deutschen HauptstadtbewohnerInnen, außer in Döner-Fragen, so selten an der Kultur ihrer Berliner Nachbarn aus der Türkei?
Sibylle Pomorin hat drei Istanbuler Virtuosen an orientalischen Saiteninstrumenten, Ud, Kanun und Tanbur, drei Berliner StreicherInnen und den Perkussionisten Mesut Ali zusammengebracht. Neben ihren eigenen „Istanbuler Impressionen“ wurden klassisch-türkische Musikstücke, „Makams“, neu arrangiert. Mehrere hundert Makams – melodisch-rhythmische Grundthemen – gibt es. Bloß deren musikalische Ornamentierung ist neu zu komponieren oder zu improvisieren.
Eine Woche hatte das Ensemble Zeit, sich in die jeweilige andere Musik einzuarbeiten. Herausgekommen sind Arrangements, die das Wiedererkennen bekannter Strukturen verzögern, die Freude über das erkannte Makam beim orientalisch hörgeschulten Publikum in der Werkstatt der Kulturen aber um so größer machte. Mitsummend und mitdirigierend wurde ein Gegengewicht gegen etwaige neumodische Verzerrungen gesetzt.
Bei Sibylle Pomorins Kompositionen war größere musikalische Anarchie erlaubt, die – ganz der kulturellen Spaltung entsprechend – vom deutschen Publikum eher angenommen wurde.
Ein Experiment eben, das Harmonie nicht vortäuschen kann, wo keine ist. Der Perkussionist, der als türkischer Berliner heftig zwischen beiden Kulturen zu vermitteln suchte, stiftete in erster Linie Unruhe, denn mit seinen Glöckchen, seinem inkohärenten Trommeln, aber vor allem mit seinem viel zu lauten Regenrohr, das er auf den Boden knallte, setzte er Zeichen, die wiederum die Bodyguards der reichlich angefahrenen VIPs klanglich inspirierten. Türen fielen geräuschvoll ins Schloß, wenn sie zur Zigarettenpause gingen. Auch der etwas fragwürdige Beitrag der Ausländerbeauftragten Barbara John zur interkulturellen Verständigung soll nicht unerwähnt bleiben. Der Abend zeichne sich besonders durch die Anwesenheit von Frau Bundespräsidentin Herzog aus! Sein oder Schein ist die Frage. Waltraud Schwab
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen