Sanssouci: Vorschlag
■ „Tage des didaktischen Liedes“ in der Allgirls Galerie
„Den Konsumenten zum Produzenten machen“ – das ist eine gern wiederholte Forderung emanzipatorischer Medientheorie, seit Hans Magnus Enzensberger in seiner linksliberalen Phase diese griffige Parole geprägt hat. Die „Tage des didaktischen Liedes“ sollen uns von Musik-Konsumenten zu Musik-Produzenten befördern. Die Künstlergruppe Klasse Zwei hat für zehn Tage in ihren Atelierräumen in Mitte ein „ambulantes Tonstudio“ aufgebaut, in dem alle, die sich trauen, Musik produzieren können. Im Rahmenprogramm gibt es Vorträge und Konzerte.
Durch Computerisierung ist die Studio- und Produktionstechnik in den letzten 15 Jahren immer narrensicherer geworden. Die Innovationsschübe der Software- und Hardware-Industrie haben als eine Art Abfallprodukt auch neue Musikstile entstehen lassen, die nicht von Musikern, sondern von computerversierten Tontechnikern gemacht werden: Techno, Drum & Bass und HipHop werden nicht mehr von Bands eingespielt, sondern auf der Festplatte produziert. Wie einfach das Produzieren mit Computern ist, merkten Klasse Zwei, als sie mit dem Computerprogramm „Soundedit“ binnen kurzer Zeit eine ganze Kassette mit eigenen Songs zusammengesampelt hatten, die unter dem Titel „ZigarettenRauchen“ die Runde machte. Bei den „Tagen des didaktischen Liedes“ kann es ihnen jeder nachtun: In der Burgstraße stehen ein Atari- und ein Macintosh-Computer mit der nötigen Software, mit der begabte Dilettanten eigene Tracks machen können – oder sich bei einem Besuch fragen, ob das noch Kunst ist...
Klasse Zwei sehen die Veranstaltung als Vermittlung von kulturellem Wissen und Techniken, wobei auch die Technologie, mit der Musik heute produziert wird, entmystifiziert werden soll. Dieses emanzipative Programm hat in der Nachkriegskunst durchaus Tradition. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, hat Joseph Beuys gesagt, und im Microstudio kann jeder ausprobieren, ob das auch für Komponisten gilt. Tilman Baumgärtel
Bis 11.5., täglich ab 15 Uhr, Microstudio in der Allgirls Galerie, Burgstraße 2, Mitte. Heute abend gibt es einen Vortrag von Pit Schulz über Internet-Folklore, morgen über die „Metaphysik des Kassettenrecorders“. Am Freitag abend spielt das Düsseldorfer Ambient-Duo Mini-L6n. Ein Abschlußkonzert mit allen aufgenommenen Stücken findet am Samstag ab 20 Uhr statt.
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