Sanierung des Märksichen Viertels: Dämmen oder verdammen?
440 Millionen Euro will die Gesobau bis 2015 in die energetische Sanierung der Großsiedlung im Norden Berlins stecken. Doch hat ein Koloss wie das Märkische Viertel überhaupt noch eine Zukunft?
Die stolzen Jahre sind vorbei, der Geist des Aufbruchs hat sich verflüchtigt. Im Märkischen Viertel dominieren Stein und Beton, und hinter den Fassaden verbergen sich schlecht gedämmte und unsanierte Wohnungen. Das alles soll sich in absehbarer Zeit ändern: Jüngst zeichnete Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau mit einem satten Geldpreis aus - wegen ihres energetischen Sanierungskonzepts für die Großsiedlung im Berliner Norden.
Insgesamt will die landeseigene Gesobau 440 Millionen Euro investieren, 100.000 Euro kommen vom Bundesbauministerium. Weiteres Geld kommt aus dem Programm "Stadtumbau West", in das das Viertel Anfang des Jahres aufgenommen wurde. Ob die zweifelsohne notwendigen Vorhaben ausreichen werden, um Großsiedlungen wie das Märkische Viertel auf Dauer zukunftsfähig zu machen, ist fraglich.
"Wir haben sowohl innen in den Wohnungen als auch außen alle technischen Probleme, die man haben kann", sagt Gesobau-Vorstand Jörg Franzen. Die Gesellschaft besitzt mehr als 15.000 und damit den Großteil aller Wohnungen im Märkischen Viertel. Die in den 1960er-Jahren von namhaften Architekten gebauten Wohnungen zeigen Alterserscheinungen, dazu kommen die sozialen Herausforderungen: Wer kann, zieht weg, es bleiben die, die sich nichts anderes leisten können. Der Migrantenanteil ist hoch. Die Bewohner werden älter, ohne dass junge Menschen nachziehen.
Trotzdem: Franzen setzt auf die Modernisierungsmaßnahmen. "Wir sind überzeugt, dass nach Abschluss der Sanierung 2015 fast alle gern im Märkischen Viertel wohnen werden", sagt er. Wichtig sei auch, Mieter an den Umbauprozessen zu beteiligen und zu informieren.
Was auch bedeutet: Da gibt es viel zu tun. Der Ruf des Märkischen Viertels ist kein guter, kaum einer gibt hier mit Stolz seinen Wohnort an. "Umbaumaßnahmen müssen von einem Bewusstseins- und Imagewandel flankiert werden", appelliert Martin Karsten, Leiter der Transferstelle Stadtumbau West. Er begleitet den Wandel von Großsiedlungen im Westen Berlins und in Westdeutschland.
Darüber hinaus hält es Karsten für sinnvoll, nicht ausgelastete Großsiedlungen in Teilen rückzubauen und mit Einfamilienhäusern zu durchsetzen. "Das stabilisiert die Sozialstruktur." Arvid Krüger, Kiezmanager in Hohenschönhausen, hegt dagegen kaum mehr Hoffnung, was die soziale Aufwertung von 60er-Jahre-Großsiedlungen angeht. Völlig abstürzen würden solche Quartiere zwar nicht, aber: "Die soziale Mischung wird eine andere als in der Einzugsphase sein." Investitionen der öffentlichen Hand sind seiner Meinung nach unabdingbar, um ein Auseinanderklaffen der sozialen Schere zu verhindern.
Krüger stört, dass es bei Diskussionen über die soziale Struktur in Berlin oft nur um innerstädtische Gebiete gehe. "Wenn man über soziale Stadt redet, hört Berlin am S-Bahn-Ring auf. Es geht aber auch um Tarifgebiet B." Krüger ist mit seiner Forderung nicht allein - auch Experten wie Ralf Protz vom Verein "Kompetenzzentrum Großsiedlungen" pocht auf öffentliches Engagement. "Wir brauchen sie allein für die Wohnungsmärkte, um diese stabil zu halten", sagt er. Mieter fänden hier in der Regel modernisierte, moderne, preisgünstige Räume.
Die, um die es eigentlich geht, sehen das offenbar anders. In einem Internetforum lehnt die Mehrzahl der Schreiber die geplante Modernisierung im Märkischen Viertel ab - aus Sorge vor den monatelangen Bauarbeiten und vor steigenden Mieten.
"Ich denke, das Märkische Viertel wird zur Geisterstadt", schreibt etwa Bewohner Christian Hildebrandt. "Das Viertel ist zu einem Treffpunkt vieler Jugendlicher geworden die mit Ihrer Zeit nichts anderes anfangen können außer Trinken, ihr Handy auf volle Lautstärke zu stellen und andere Leute anpöbeln."
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