Sanfte Touristenfischerei am Stettiner Haff

Die als Naturschutzpark ausgezeichnete Insel Usedom entwickelte sich in den vergangenen Jahren zum begehrten massentouristischen Reiseziel. Um nicht buchstäblich unter die Räder zu kommen, setzt man in der Region auf sanften Tourismus  ■   Von Christoph Rasch

Die naturgeschützte Urlaubsregion um das Stettiner Haff erwartet in diesem Jahr, eines der größten deutschen Urlauberziele zu werden. Im Landkreis Uecker-Randow muß man daher auf sanften Tourismus setzen, um nicht buchstäblich unter die Räder zu kommen. Rika Harder und ihr Bruder Alwin praktizieren diesen mit ihrem Familienbetrieb schon im zweiten Jahr – auf dem Wasser.

In Mönkebude sind sechzehn Meter für die „Romantik“ reserviert. Im frisch ausgebaggerten Yachthafen vertäuen Rika und Alwin Harder ihren Zweimaster mit dem altbakkenen Namen. Direkt hinter dem weißen Dampfpott der Haffshipping-Gesellschaft, die hier, im Grenzgebiet zu Polen, die letzten verbliebenen deutschen Duty-Free-Butterfahrten anbietet. Ein dunkler Holzrumpf und rotbraune Segel heben das fünfzig Jahre alte Zeesenboot der Harders deutlich von den weißlackierten modernen Booten der Hobbysegler ab. Rund achtzig Exemplare dieser alten Arbeitssegler, mit denen die Ostseefischer bereits vor zweihundert Jahren ins Haff und in den Bodden fuhren, gibt es heute noch.

Die „Romantik“ hat ihr namensstiftendes Schleppnetz – die Zeese – längst gegen Minibar und Werbetafel eingetauscht. Statt Aal und Hecht ziehen die Harders seit dem vergangenen Jahr Touristen und Ausflügler an Land – mit wachsendem Erfolg. Auf ihrem Boot wird berlinert und gesächselt, vor allem Besucher von weiter her suchen die Entspannung unter vollen Segeln – mit hundert Quadratmetern Segelfläche bietet das einstige Fischerboot eine imposante Kulisse für Ausflüge. Eine „andere, entspanntere Perspektive“ auf den Charme der Haffregion will die alternative Segeltour ihren Gästen bieten, „streß- und möglichst dieselfrei“, meint die 36jährige Rika. „Sanftes Segeln“ – typisch für die touristischen Ambitionen rund ums Haff.

Seit die Region 1993 den Titel „Landschaft des Jahres“ verliehen bekam und sich auf der Insel Usedom – nun offiziell ein Naturschutzpark – und in den Landkreisen ein regelrechter Massentourismus mit mehr als vier Millionen Übernachtungen entwickelte, ist man hier um abgemilderten Fremdenverkehr jenseits der Pauschalangebote bemüht. Denn der Tourismus ist inzwischen nicht nur einer der größten Arbeitgeber. Angesichts der Blechlawinen der Butterfahrer – jährlich rund 820.000 – vor allem in Ueckermünde und Altwarp und eines vermehrten Verkehrsaufkommens auf dem Wasser „müssen wir uns dringend um Entlastungen für die Umwelt kümmern“, meint Landkreis-Sprecher Achim Froitzheim. Denn: „Wir rechnen damit“, heißt es aus dem Landratsamt in Pasewalk, „in diesem Jahr die bayerischen Spitzenreiterregionen in puncto Touristenzahlen hinter uns zu lassen.“ Auch der Nischen-Landkreis vis-à-vis Usedoms verzeichnet steigende Touristenzahlen, 165.000 im letzten Jahr. Allein Ueckermünde zählte nur am letzten Wochenende fünftausend Badegäste.

Verträglichere Angebote sind also gefragt. Es entstanden Ökobauernhöfe, naturnahe Zeltlager und Hunderte Kilometer ruhiger Wander- und Reitwege und weitere Aufforstungen. Sogar die Bundeswehr hat eine eigen Naturschutzabteilung eingerichtet, im Manövergebiet blühen die Orchideen. „Der Landschaftsschutz macht ständig Fortschritte“, meint Axel Curdts, Planungsleiter im Landratsamt. Trotzdem ist, trotz EU-Förderprogrammen, aus der verarmten Region noch kein perfektes Besucherparadies geworden. Der „sanfte Tourismus“, ein Schlagwort, mit dem hier kaum ein Vorpommer etwas anfangen kann, kommt eher von allein: durch fehlende Infrastruktur, verbunden mit einer hohen Arbeitslosigkeit, die bei 22 Prozent liegt. Und im benachbarten Ueckermünde etwa liegen seit Jahren Hunderte von Bootsliegeplätzen wegen finanzieller Querelen zwischen Landkreis und Investoren brach.

Mönkebude hingegen, selbsternannte „Perle am Stettiner Haff“, die so viele Jahre existiert, wie sie Einwohner hat – nämlich 750 –, ist schon vorangekommen. Als erster „staatlich anerkannter Erholungsort“ an der Küste präsentiert man sich dort. Ein neu aufgeschütteter Quarzsandstrand und der modernisierte Yachthafen trugen schließlich zum touristischen Aufschwung bei.

Der Bootsverkehr zwischen Usedom und Ueckermünde stieg in den letzten Jahren dennoch rapide an, vor allem durch Chartersegler, die das Haff als Start- oder Endpunkt eines Ostseetörns benutzen.

„Wenigstens verhalten sich die Sportboote in der Nähe der Naturschutzgebiete relativ diszipliniert“, heißt es aus dem Fremdenverkehrsamt. Und auf neunhundert Quadratkilometern Wasserfläche verlieren sich deren weiße Segel sowieso in der Weite. „Da kommt es einem so vor, als hätte man das Haff für sich alleine“, sagt Rika, während ihr Schiff gemütlich aus dem Hafenbecken von Mönkebude gleitet und sich bei guter Sicht ein Panoramablick auf 32 Kilometer meist schilfbewachsene Haffküste eröffnet.

Ihren Dieselmotor wirft sie nur bei An- und Ablegemanövern an, bei einer Flaute liegt die „Romantik“ eben mal still auf dem spiegelglatten Wasser. Heute weht der übliche ideale Segelwind aus Nordost, der gleichmäßig über das Binnengewässer streicht. Rika setzt Groß- und Focksegel, wer von ihren Gästen will, packt mit an.

Die Tagesreise mit der „Romantik“ führt zu den Überresten der Karniner Brücke, von dort zum beschaulichen Hafen von Karnin und schließlich über den Usedomer See. Der Anklamer Stadtforst, der an Backbord bis zu den freistehenden Überresten der Karniner Eisenbahnbrücke mit seinen Turmfalkennestern vorbeizieht, ist ein herausragendes Naturreservat. Insgesamt vereinen die Landkreise Ostvorpommern und Uecker-Randow gut 100.000 Hektar Landschaftschutzgebiete. Durch Deichbruch-Überschwemmungen ist das Naturschutzgebiet in der tiefliegenden Torflandschaft zu einem Biotop auch für die verschiedensten Vogelarten geworden. „Die liefern manchmal ein unglaubliches Konzert“, erklärt Rika Harder ihren Gästen, „abends etwa, wenn Hunderte von Staren im Schilf sitzen.“ Auch Seeadler, Milane oder Kraniche haben sich in der fast unberührten Landschaft angesiedelt. Im von Bebauung und Industrie weitgehend verschonten einstigen NVA-Übungsgelände um Eggesin zählt der Landkreis allein „550 verschiedene Schmetterlingsarten“.

Das Land zwischen Uecker- und Randow-Mündung gilt als eines der größten Fischottervorkommen in Europa. Hin und wieder – meist über die polnische Grenze – kommen Elche und Wölfe in das Naturschutzgebiet. Und eine kleine Berühmtheit ist Storchenmännchen „Herr Müller“, der sich von den Fischern in Mönkebude durchfüttern läßt und es sich von Zeit zu Zeit auf deren Booten gemütlich macht, erzählt Rika, während das vier Meter breite Schiff mit dem geringen Tiefgang an den entlang der Uferböschung aufgereihten Fischreusen vorbeigleitet.

Einst raubten die Stellnetze den Zeesenfischern die Arbeitsplätze. Nun hofft die Region auf ein Ende der wirtschaftlichen Flaute durch die Touristen. Das Zeesenboot der Harders jedenfalls ist inzwischen mehr als ein gut laufender Geheimtip in Mönkebude.

Weitere Infos und Buchungen bei Rika & Alwin Harder Telefon: (039774) 20394 oder (0172) 3125388 Internet: www.zeesenboot.de Preise: 20 Mark pro Person für anderthalbstündige Fahrten oder 100 Mark pro Stunde bei Tages- und Halbtagesausflügen