piwik no script img

Sandsack als Vaterersatz

■ Der Schauspieler Johannes Silberschneider über Harold Pinters Mondlicht am Thalia-Theater und die Arbeit mit Regie-Altmeister Peter Zadek

Draußen ist einen Moment lang so viel Sonnenlicht, daß es selbst in die Kantine des Thalia Theaters dringt. Hier sitzt Johannes Silberschneider, der in diesem Haus seit einer Woche die letzten Proben zu Harold Pinters Mondlicht absolviert. „Eigentlich mag ich keine Proben“, meint er und lächelt schüchtern, „doch diesmal hat es richtig Spaß gemacht.“ Silberschneider, im steirischen Mautern geboren und in Hamburg schon unter Zadek im Schauspielhaus und zuletzt an den Kammerspielen tätig, mag den neuen Pinter.

Mondlicht beschreibt den Todeskampf von Andy, einem verbitterten Kleinbürger mittleren Alters, der selbst auf dem Sterbebett keine Verbindung zu seinen Söhnen Jake und Fred aufzunehmen vermag. Die haben sich in der Phantasie einen Popanz geschaffen, einen Vaterersatz, einen Sandsack, der jeden verbalen Schlag einsteckt. Silberschneider spielt Jake, über den im Stück kaum mehr zu erfahren ist als über die anderen Figuren. Vielleicht verdient er sein Geld mit Literatur, in jedem Fall ist es genug, um den Bruder mitzufüttern. „Dieses Stück beantwortet nichts, es ist wie ein großes dramatisches Gedicht, vom Duktus her eher poetisch, und es geht wirklich um die großen, ewigen Dinge des Lebens und des Sterbens. Dabei ist es kein üblicher Pinter. Es ist ein sehr spannender Text, mit sehr schönem Stil. Pinter war ja, als er in den 50er Jahren auftauchte, sehr skandalös. Damals war Noel Coward der Grand-seigneur des englischen Theaters. Als er den ersten Pinter sah, war er entsetzt. Doch was damals schockierte, sind heute 'olle Kamellen'. Das ist ja eine Schwierigkeit des englischen Theaters: Es wurde nie saniert, nie wirklich erneuert. Heute wird dort noch genauso Theater gemacht wie damals. Mondlicht ist da anders. Es wirkt fast wie ein Alterswerk, ein Alterspinter. Ich habe den Text zuerst auf englisch gelesen und war gleich in ihn verknallt.“

Zwei Monate wurde an dieser Co-Produktion von Berliner Ensemble und Thalia Theater geprobt – mit Stars wie Eva Mattes, Michael Degen und Angela Winkler. „Wir haben in Berlin geprobt, nur die letzten Tage hier.“ Berlin macht dem Exil-Österreicher angst, doch die Arbeit mit Zadek empfand er als angenehm: „Er ist schon ein sehr intelligenter, weiser Mann, mit einem großen Herzen und dem nötigen Humor dazu, der Dummheit als persönliche Beleidigung empfindet und totzdem nicht daran verzweifelt. Er schafft einen staubfreien Rahmen für Theater, in dem die Feinphysik gut funktionieren kann. Er sorgt für optimale Abschirmung der Schauspieler gegen alle Dinge, die das Theater heute stören, und bietet zugleich optimale Freiheit. Ich nehme an, daß er diesen Rahmen schon für sich selbst zum Arbeiten braucht.“

Nach der Hamburger Premiere von Mondlicht geht es zurück nach Berlin, zur dortigen Premiere. Was Silberschneider nicht stört: „Wissen Sie, für einen österreichischen Schauspieler gibt es eh nur zwei Möglichkeiten: lebenslange Festungshaft im Burgtheater oder die Emigration in die Diaspora. Ich habe mich für die Diaspora entschieden. Und Mondlicht ist wirklich ein Text, der es wert ist, sich damit zu beschäftigten! Das ist einmal eine sinnvolle Beschäftigung auf dem Theater.“

Thomas Plaichinger

Thalia Theater: heute, 21., 29. und 30. April, jeweils 20 Uhr; am 29. April auch 16 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen