piwik no script img

Sandmännchen und Eisenstein

■ Das Potsdamer Filmmuseum unter neuer Leitung

Marstall heißt das barocke Gebäude im Zentrum von Potsdam, von wo aus man künftig einiges an kulturellen Impulsen erwarten darf. Einst als Orangerie errichtet und zwischenzeitlich als Pferdestall genutzt, ist es endlich 1981 in ein Filmmuseum verwandelt worden.

Filmmuseum. Das Wort klingt widersprüchlich; wie kann denn ausgerechnet Film – das Konservierungsmedium schlechthin – selbst noch sinnvoll konserviert werden? Ein Filmmuseum soll der Marstall zwar weiterhin bleiben, allerdings unter der Ägide der Filmwissenschaftlerin Dr. Bärbel Dalichow als Direktorin, was größere Risikobereitschaft und Aktualität verspricht. Bis zum Sommer dauern noch die notwendigen Renovierungs- und Umbauarbeiten, dann eröffnet sie ihr Haus gleich mit einer doppelten Sonderausstellung: Die eine geht der Fernsehlegende „Sandmännchen“ auf die Spur, das seit den späten fünfziger Jahren bis heute nahezu jede Kindheit begleitet. Alles, was zum Sandmännchen-Kosmos gehört, soll gezeigt werden: Entwürfe der Puppe, Filmausschnitte, Requisiten, Drehbücher etc.

Die zweite Sonderausstellung konzentriert sich auf Zeichnungen und Malereien sowjetischer Regisseure von Eisenstein bis Tarkowski, an denen ihre Ideen und Utopien außerhalb der Filmzensur sichtbar werden. „Nicht nur Bildungshunger treibt die Menschen in Museen, sondern auch die Kinder und das Wetter“, faßt Bärbel Dalichow die Motivation der Museumsbesucher zusammen. Entsprechend umfaßt das Programm des hauseigenen Kinos neben aktuellen und historischen Filmreihen, Experimental- und Dokumentarfilmen auch Kinderfilme.

Gegenüber traditionellen Museumskonzepten soll hier der kommunikative Aspekt betont werden. Für Filmliebhaber im weiten Sinne des Wortes – nicht nur für spezialisierte Cineasten – soll das Filmmuseum Ort der Auseinandersetzung und des Vergnügens gleichermaßen sein können. Deshalb kooperiert das Filmmuseum mit so unterschiedlichen Interessengruppen wie der VHS, Uni, DEFA, Filminitiativen und Behindertengruppen, die in Workshops, Vortragsreihen oder Seminaren Themen gemeinsam behandeln können.

Typisch museale Raritäten, wie zum Beispiel eine Kinoorgel, sollen nicht als bloße Anschauungsobjekte vergangener Zeiten, sondern in Aktion präsentiert werden. Zu Stummfilmzeiten wurden mit ihr Hintergrundgeräusche wie Hufgeklapper, Gewitter, Regengüsse etc. simuliert. Und eben diese Funktion soll sie auch weiterhin erfüllen. Eine Idee unter anderem ist, auch für Reisende das Museum dadurch attraktiv zu machen, daß man ihnen beispielsweise historische Filme über Potsdam anbietet, die parallel von einem DEFA-Organisten „vertont“ werden, der darüber hinaus das Instrument kurz vorstellen könnte.

Für die geplante Dauerausstellung gilt: thematische Konzentration statt quantitativer Vielsammelei. Nicht nur topographisch liegt es da nahe, die Filmgeschichte Babelsbergs von den frühen Anfängen der Bioscop-Filmgesellschaft über die Expansion zur Ufa bis zur DEFA ins Visier zu nehmen.

Bereits während der Umbauphase arbeitet die Museologin mit ihrem Team Ralf Schenk, Elke Schieber und Dorett Molitor an der Publikation eines Buches über die DEFA. Unsichtbare Arbeiten, wie die Versorgung Interessierter mit filmhistorischen Detailinformationen, eigenen Forschungen, Verwaltung, Ankauf weiterer Filmfundstücke (da Filme ausgeliehen werden beim Landesarchiv, sind es vor allem Nachlässe, Fotos, Filmtechnik, Kostüme, Drehbücher und viele Dinge mehr, die für das eigene Archiv gesammelt werden), gehören ebenso zum Museumsalltag wie Ausstellungsvorbereitungen.

Die Konzeptionen der Ausstellungen sind mit der Auswahl der Exponate noch längst nicht erledigt; für Museologen geht es auch um formale Fragen nach Art und Weise der Raumnutzung und Präsentation im Marstall. Wie können verschiedene Arbeiten unterschiedlicher Regisseure, Bühnen- und Maskenbildner, Autoren, Schauspieler etc. thematisch arrangiert werden, ohne das Raumgefühl des Marstalls zu zerstören und ohne doch wieder nur langweilig addiert zu wirken? Stellwände, wie man sie aus nahezu allen Museen kennt, sollen vermieden werden. Die Direktorin setzt eher auf den spielerisch-mobilen Umgang mit Raum und Zeit: So ist eine Idee, die jeweiligen Heiligtümer der Museen im Rahmen künstlerischer Installationen zu zeigen, statt kleine Räumchen und Nischen zu bauen. Noch werden auch tausend andere Möglichkeiten durchgespielt.

Der Versuch, die vielseitigen und innovativen Vorstellungen unter den momentan knappen finanziellen Bedingungen auch noch anspruchsgemäß realisieren zu wollen, gleicht teilweise zwar der Quadratur des Kreises, ist aber für die vitale Direktorin eine Herausforderung, der sie sich stellen will.

Daß sie als Frau keine Durchsetzungsschwierigkeiten hat, ist ihr ebenso selbstverständlich wie ein Interesse an gutem Arbeitsklima unter den MitarbeiterInnen. Da es offenbar nicht so einfach ist, auch qualifizierte und unverkrampfte männliche Mitarbeiter zu bekommen, hat sie angekündigt, bei den nächsten Stellenausschreibungen Männer mit gleicher Qualifikation zu bevorzugen. Das Museum öffnet seine Türen im Juli dieses Jahres. Christiane Voss

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen