Sammlung Nierendorf im Ernst Barlach Museum: Bewahrer der verfolgten Kunst
Das Ernst Barlach Museum in Wedel meldet sich mit einer Ausstellung zurück, die Expressionismus und Neue Sachlichkeit zusammen denkt. Dabei bedient sie sich bei der legendären Berlin/New-Yorker Sammlung der Galerie Nierendorf.
WEDEL taz | Die Welt zerbrechen und neu zusammensetzen - und wenn das nicht geht, zumindest ihr Abbild. Das wäre eine Kurzformel für den künstlerischen Furor der Expressionisten. Doch deren ästhetisches Wollen und utopisches Sehnen wurde durch die Weltkriege grausam überboten. Kopfschmerz, Blitz, Geschoss: Die grell zuckenden Himmel der Maler waren nicht mehr nur subjektiver Ausdruck krisenhafter Stimmungen, sondern das Bild realer, tödlicher Bedrohung. Kein Wunder, dass die Kunst zwischen den Kriegen sich auf eine neue Sachlichkeit besann, die vor der weltenbrennenden Zerstörung im Namen der Utopie erst einmal den Bestand kritisch ins Bild setzte.
Expressionismus und "Neue Sachlichkeit", diese beiden, meist entgegengesetzt betrachteten Kunststile präsentiert das Wedeler Ernst Barlach Museum jetzt gemeinsam als Facetten des großen Welttheaters. Nach drei Jahren mit unzureichender Finanzierung und eher geringen Aktivitäten zeigt das Ernst Barlach Museum in Wedel nun wieder eine größere Ausstellung - in enger Kooperation mit der legendären West-Berliner Galerie Nierendorf, deren Kunstsammlung des Expressionismus und der klassischen Moderne etwa 12.000 Werke umfasst.
Um das aus der Sammlung der Galerie ausgewählte, sehr unterschiedliche und bis weit in die fünfziger Jahre entstandene Material zu einer Übersicht über ein halbes Jahrhundert Kunst zusammenzubinden, nutzt die Kuratorin Heike Stockhaus einen großen Dichter des Barock: Auszüge aus dem um 1630 entstandenen "Großen Welttheater" von Pedro Calderón de la Barca bilden den Rahmen, in dem die nervöse Vielfalt der deutschen Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Wirkung kommt.
Unter den Calderón-Worten: "Kommt, ihr findet alles drinnen" beginnt die Ausstellung mit der zehnteiligen Lithographien-Mappe "Berliner Reise", in der Max Beckmann 1922 vom Nackttanz im Dunklen bis zum Schornsteinfeger bei Sonnenaufgang dem Leben der Stadt nachspürt. Dann folgt der unterschwellig vergiftete Realismus von August Wilhelm Dressler (1886-1970) und Arbeiten von Otto Dix. Neben dessen beißender Sozialkritik ist auch ein Porträt des Galeristen Joseph Nierendorf zu sehen, der 1926 seinem Bruder Karl aus Düsseldorf nach Berlin folgte und mit ihm zusammen die Galerie leitete.
Von Anfang an zeigen die beiden Werke der expressionistischen Künstler der "Brücke" und des "Blauen Reiter", von Beckmann, Dix, Ernst, Feininger, Grosz und Klee. Da bald fast alle der vertretenen Künstler unter das Verdikt "Entartete Kunst" fallen, wandert Karl Nierendorf 1936 in die USA aus und eröffnet gegenüber dem Museum of Modern Art eine Galerie, die insbesondere die in Deutschland verfolgten Künstler ausstellt und sogar das Alleinvertretungsrecht für Paul Klee in den USA hatte.
1947 stirbt Karl Nierendorf, sein Besitz fällt an den Staat New York. Da Erbansprüche aus Deutschland zu der Zeit nicht durchsetzbar waren, erwirbt die Guggenheim Foundation den größten Teil des Nachlasses - darunter allein über 100 Arbeiten von Klee - für günstige 72.000 Dollar.
Bruder Josef Nierendorf schließt die Berliner Galerie 1938, muss Soldat werden und stirbt 1949. Erst 1955 können sein Stiefsohn Florian Karsch und dessen Ehefrau Inge die Galerie in West-Berlin wiedereröffnen und bis heute fortführen.
Im Wedeler Museum ist der Geschichte der Galerie eine Vitrine mit Dokumenten gewidmet, auf die man stößt, wenn man beim Rundgang die Naturbilder von Christian Rohlfs, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und Conrad Felixmüller passiert hat. Als Beispiel für expressionistische Bühnenräume läuft im Keller der Filmklassiker "Das Kabinett des Dr. Caligari", dazu sind Mappen-Editionen der frühen 20er Jahre zu sehen: Die Radierungen "Der Krieg" von Otto Dix sowie Holzschnittreihen von Schmidt-Rottluff und Erich Heckel.
Das obere Geschoss des Ernst Barlach Museums wird von Ludwig Kirchners Frauenakten in Tusche, Pastell, Kohle und Deckfarben dominiert und zeigt Bronzen des Bildhauers Joachim Karsch (1897-1945), des Vaters von Galerist Florian Karsch.
Mit den 18 ausgewählten Künstlern sind fast alle großen Namen der Berliner Sammlung in der Wedeler Ausstellung vertreten, aber auch Überraschungen sind unter den etwa 120 Werken zu finden: So die wunderbare kleine Farbkomposition "der Block" von Hannah Höch oder die "Explodierende Stadt" und die "Aufgehende Sonne" mit ihren südlich leuchtenden Farbmustern und dem geradezu futuristischen Bildaufbau vom im New Yorker Exil 1954 verstorbenen Josef Scharl. Von ihm stammt auch das Plakatmotiv der Ausstellung: Das farbfroh typisierende Porträt eines besseren Herrn, kahlköpfig mit Smokingfliege.
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