piwik no script img

Salvadors Militär fürchtet Glasnost

Ein Kommissionsbericht über die Verbrechen von 2.000 Offizieren während des vergangenen Bürgerkrieges führt zu heftigen innenpolitischen Debatten  ■ Aus El Salvador berichtet Ralf Leonhard

Soll ein Bericht über die Untaten der Militärs im vergangenen Bürgerkrieg geheim bleiben oder für die Gesellschaft zugänglich sein? Diese Frage bildet den Mittelpunkt einer Kontroverse, die den Konflikt zwischen den ehemaligen Kriegsparteien El Salvadors wieder aufflammen lassen könnte. Das Dokument ist das Ergebnis von drei Monaten Interviews und Urkundenstudium der sogenannten Ad-hoc-Kommission. Es soll die Grundlage für die Säuberung der Armee bilden, wie sie der im Januar unterzeichnete Waffenstillstandsvertrag verlangt.

Die aus drei mehrheitlich der Christdemokratie nahestehenden Persönlichkeiten zusammengesetzte Kommission legte das Ergebnis ihrer Forschungen am 23. September dem UNO-Generalsekretär Butros Ghali und dem salvadorianischen Staatschef Alfredo Cristiani vor. Cristiani hat jetzt zwei Monate Zeit, den Bericht zu studieren und auf dessen Grundlage Empfehlungen zur Säuberung und Neustrukturierung der Armee abzugeben. Damit hätte er dem Wortlaut des Abkommens Genüge getan, nicht aber dem Bedürfnis der salvadorianischen Gesellschaft, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Opposition verlangt daher die Veröffentlichung des brisanten Dokuments. Wie sonst könnte überprüft werden, ob die Verbrecher in Uniform tatsächlich aus dem Verkehr gezogen werden. „Wenn Cristiani die Empfehlungen nicht berücksichtigt, untergräbt er den Friedensprozeß“, urteilte Ruben Zamora, Vizepräsident der Nationalversammlung und Wortführer der linken Opposition.

Wichtig ist, daß der Säuberungsprozeß stattfindet und in die Tiefe geht“, kommentierte Francisco Jovel, alias Comandante Roberto Roca vom Oberkommando der FMLN. Und Comandante „Jonas“, der die Front in der Guerillahochburg Morazan anführte, glaubt sogar, der Bericht der ad- hoc-Kommission bedeute das Ende des Militarismus. Zumindest wenn die Ergebnisse öffentlich gemacht und die Verantwortlichen für den schmutzigen Krieg gedemütigt werden. Genau das wollen aber die betroffenen Offiziere verhindern. Vizeverteidigungsminister Orlando Zepeda, ein Mann, dem zahlreiche Verbrechen nachgesagt werden, besteht auf der Vertraulichkeit der Informationen: „Wenn es irgendwelche Abweichungen oder Verstöße gegeben hat, dann sind sie, glaube ich, in Erfüllung der Verteidigungsaufgaben der Streitkräfte passiert“. Punktum.

2.000 Offiziere verdächtigt

Wenn nur ein Teil der Anschuldigungen gegen die Militärs im Geheimbericht ihren Niederschlag finden, müßten der gesamte Generalstab und praktisch alle Brigadekommandanten ihren Hut nehmen. Mehr als 2.000 Offiziere wurden von der Kommission auf Verbrechen gegen die Menschenrechte, Behandlung der Untergebenen und Umgang mit den Finanzen untersucht. Ein Antrag der Militärs, alle Kriegsverbrecher mit einer Amnestie reinzuwaschen, ist zu Jahresbeginn im Parlament gescheitert. Der Bericht könnte also zur Grundlage einer Serie von Strafverfahren gemacht werden. General Zepeda hat völlig recht, wenn er verlangt, daß jeder gemaßregelte Offizier Anspruch hat, die Gründe für die Maßnahmen zu erfahren und Beweise vorgelegt zu bekommen. Der Bericht der Ad- hoc-Kommission hat aber keinerlei Rechtskraft, wenn er nicht von der Justiz bestätigt wird. „Es reicht nicht, wenn die Leute entlassen werden“, meint Celia Medrano von der nichtstaatlichen Menschenrechtskommission, „sie sollen zur Höchststrafe von 30 Jahren verurteilt werden“. Soll den Betroffenen ein Recht auf Verteidigung eingeräumt und ein Prozeß eröffnet werden, dann führt an der Veröffentlichung des Berichts kein Weg vorbei. Die von den Militärs angestrebte Lösung dagegen läuft auf eine „routinemäßige“ Pensionierung einer Reihe hoher Offiziere hinaus.

Unabhängig von der Ad-hoc- Kommission prüft die von drei prominenten Ausländern (Belisario Betancur, Ex-Präsident von Kolumbien, Reynaldo Figueiredo, Ex-Außenminister von Venezuela, Thomas Buergenthal, Ex- Vorsitzender der Interamerikanischen Menschenrechtskommission) geleitete „Wahrheitskommission“ eine Anzahl besonders spektakulärer Verbrechen der letzten zwölf Jahre. Vom Mord an Erzbischof Romero über das Massaker an tausend Campesinos in der Ortschaft Mozote und die Bombenlegung im FENASTRAS- Lokal bis zum Mord an den Jesuitenpatres während der Offensive 1989 werden Fälle aufgerollt, die nicht mit „getreuer Erfüllung der Verteidigungsaufgaben“ gerechtfertigt werden können. Auch eine Reihe von Attenaten der FMLN gegen Zivilpersonen sind Gegenstand der Untersuchungen. Der Bericht dieser Kommission ist per definitionem öffentlich, wird aber kaum denselben moralischen Effekt haben wie die Bekanntmachung des Sündenregisters von 2.000 Offizieren.

Ohne eine gründliche Säuberung der Streitkräfte besteht kaum Hoffnung, daß auch den paramilitärischen Todesschwadronen, die traditionell in den Kasernen organisiert werden, das Handwerk gelegt wird. Comandantes der FMLN fürchten, daß ein schmutziger Krieg gegen die inzwischen legalisierte Linke beginnt, wenn am 31. Oktober der Demobilisierungsprozeß abgeschlossen wird. Letzte Woche gab das zweite Kontingent von rund 1.600 Guerilleros die Waffen an Vertreter der UNO- Beobachterkommission ONUSAL ab. Die Entwaffnung der verbleibenden drei Gruppen wird jedoch von der Erfüllung des Waffenstillstandsabkommens durch die Regierung abhängig gemacht. Ein Abgeordneter der regierenden ARENA sagte für die Zeit nach dem 31. Oktober politische Hexenjagden voraus, und die für ihre rechtsextremen Ansichten bekannte Parlamentarierin Gloria Salguero bezeichnete das Dekret, das die Legalisierung der FMLN erlaubte, als „Grab der Roten“. Kurz darauf wurden Ivan Ramirez, ein Anführer des FMLN-nahen Gewerkschaftsbundes FENASTRAS und ein weiterer Gewerkschaftsaktivist ermordet.

In der FMLN ist daher eine Debatte entbrannt, ob es verantwortlich sei, den im Waffenstillstandsabkommen festgesetzten Termin 31. Oktober für die endgültige Demobilisierung einzuhalten. Während Präsident Cristiani an dem Datum auf keinen Fall rütteln will, mehren sich nicht nur innerhalb der FMLN die Befürworter einer Verschiebung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen