Salman Rushdie-Rede : Kein Frieden ohne Kampf
Zur Verteidigung ihrer freiheitlichen Demokratien werden die Staaten des Westens in aufgezwungene Systemkriege ziehen müssen. Gedanken zu Salman Rushdies kriegerischer Friedenspreis-Rede in der Frankfurter Paulskirche.
taz FUTURZWEI, 31.10.2023 | „Es sind keine guten Nachrichten. Homer sagte uns, dass es Frieden erst nach Jahrzehnten des Krieges gibt, also dann, wenn Troja zerstört ist und alle, an denen uns lag, gestorben sind. Die nordischen Mythen erzählen, Frieden kommt erst nach „Ragnarök“, nach dem Ende der Götter, wenn sie ihre alten Feinde besiegt, aber auch sich selbst zerstört haben“ (…) Das deutsche Wort dafür lautet „Götterdämmerung“ (…) Der Frieden verlangt einen blutigen Preis. (…) Die Blockbuster dieses Sommers, „Oppenheimer“ und „Barbie“ erinnern uns daran, dass es Frieden erst gab, nachdem die beiden Atombomben Little Boy und Fat Man auf Nagasaki und Hiroshima abgeworfen waren und dass es dauerhaften Frieden und ungetrübtes Glück heute nur in pinkfarbenem Plastik gibt“, sagte Salman Rushdie in seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 22.Oktober in der Frankfurter Paulskirche.
Frieden erscheint Salman Rushdie „wie ein dem Rauch der Opiumpfeife entsprungenes Hirngespinst“. In seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche führt der Friedenspreisträger seinen Gedanken noch weiter, dass es Frieden nur als Folge gewonnener oder verlorener Kriege geben kann. So sei offen, wer im Ukrainekrieg gewinnen wird, „die Tyrannei eines einzelnen Mannes und seine Gier nach Macht und Eroberung“ oder die „Garantie der Souveränität für ein ganzes Volk“.
Aber beide, Russland und die Ukraine, reden vom Frieden – „dasselbe Wort hat zwei unvereinbare Bedeutungen“. Was Frieden am Ende des Krieges meint, bestimmen die Sieger. Vernunft und Humanität haben in diesen Kriegen keine automatisch überlegene, zivilisierende Logik der Geschichte auf ihrer Seite. Vernunft und Humanität müssen sich immer wieder kämpfend durchsetzen, sonst gibt es eben einen Frieden, in dem Willkür, Rechtlosigkeit, Hass und Krieg gegen alles Andersdenkende den Lebensalltag bestimmen.
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Aufforderung zum Kampf
Dieser immer wieder neu zu begründende und zu erkämpfende Friedensbegriff Rushdies ist eine Absage an die Idee vom „Ewigen Frieden“ – also die Vorstellung, dass mit der Verrechtlichung aller menschlichen Beziehungen jeder Grund für immer entfallen würde, Kriege zu führen. Hörbar seufzend zitiert er Walt Whitmans hymnische Beschwörung des Friedens: „O die Sonne der Welt wird aufsteigen, blendend, und ihre Höhe einnehmen – und auch du, o mein Ideal, wirst gewiss aufsteigen“.
Rushdie versteht den Friedenspreis für ihn, so paradox es erscheinen mag, als Aufforderung, als Ermutigung an alle, in allen Kriegen an der Seite derjenigen zu sein, die heute gegen Tyrannei, Gotteskrieger und andere Barbaren kämpfen.
Rushdie erinnert mit seiner Preisrede die Demokratien des Westens daran, nicht nur viel zu reden, sondern zu handeln, wenn sie sich selbst weiter ernst nehmen wollen. Sein Leben, sein Schreiben, sind eine Aufforderung, die Herausforderung aller Feinde von Vernunft und Humanität anzunehmen, anstatt sich abwägend und ängstlich wegzuducken, den Konfrontationen in selbstbetrügerischem Glauben an friedliches Koexistieren auszuweichen.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine als Auftakt einer expansiven militaristischen Großmachtpolitik, das Pogrom der Hamas als Aufmarsch zur Vernichtung des Judentums, die Erklärung des Iran, die Vernichtung Israels als ersten Schritt zum Niederringen der in ihren Augen dekadenten westlichen Kultur zu vollziehen, die Absicht des kommunistischen China, Taiwan zu annektieren und seine Praxis eines totalitär überwachten Kapitalismus weltweit durchzusetzen, das alles sind Kampfansagen. Es sind Schritte hin zu realen Kriegen gegen die freiheitlichen Demokratien des Westens.
Die Welt muss wieder schön werden
Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.
Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur
Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.
Die Kriege der Zukunft
Es gibt keinen historisch begründbaren und schon gar keinen aus der Vernunft der Aufklärung ableitbaren Vorteil des Westens in diesen Kriegen der Zukunft. Es ist nicht auszuschließen, dass die Feinde von Vernunft, Freiheit und Demokratie diese Kriege gewinnen, dass sie die Welt und alle Menschen in eine lange freiheitsfeindliche Dunkelzeit zurückzwingen. Die Klimakrise, die weltweiten Verteilungskämpfe um die Reste der fossilen Rohstoffe und die damit verknüpften Verteilungskämpfe um Lebenschancen dort auf der Welt, wo es dann noch möglich sein wird, verschärfen die Tendenz zu Systemkriegen.
Der Friedenspreis des Buchhandels, gedacht als Anerkennung für sein unbeugsames Anschreiben gegen die Mullahs trotz fortwährender Morddrohungen und konkreter Mordversuche, wird von Salman Rushdie in seiner Rede in die Aufforderung an die freiheitlichen Demokratien des Westens verwandelt, für ihre Verteidigung auch in den Krieg zu ziehen.
Für die Juden hat dieser ihnen aufgezwungene Überlebenskrieg bereits begonnen. Leon de Winter, der niederländische Schriftsteller, hat die Logik, die Wirklichkeit und die Härte dieses Krieges in der NZZ in ihren Folgen konkret beschrieben: „Die Hamas zwingt Israel zur Zerstörung des Gazastreifens. Dabei wird Israel möglicherweise den höchsten Preis zahlen müssen. Den Tod der Kinder, die Israel retten will. Israel hat keine andere Wahl. Seine eigenen Kinder, die Geiseln in der Hand der Hamas und tausende Menschen im Gazastreifen könnten dabei sterben. Israel hat das nicht gesucht, es wurde dazu gezwungen. Um das Licht zu erreichen, muss Israel, das gegründet wurde, um das Leben zu heiligen, durch die tiefste Finsternis der dämonischen Hamas gehen. Die Bilder stammen nicht aus biblischen Geschichten. Es geschieht im Jetzt.“
UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.