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Saida - „befreites Gebiet“ im Libanon

■ Die südlibanesische Stadt mit dem größten Palästinenserlager des Landes ist von Lagerkrieg und Besatzung bislang verschont geblieben / Allenthalben wird über eine bevorstehende israelische Invasion spekuliert / Fast täglich Aktionen des „Widerstands“ / „Es ist fast wieder wie vor 1982“, sagen PLO–Militärs

Aus Saida Petra Groll

Die syrischen Truppen im Libanon haben ihren südlichsten Kontrollpunkt genau auf der Awali– Brücke, kurz vor dem Ortseingang der Hafenstadt Saida, eingerichtet. Ein knappes Dutzend Soldaten halten die symbolische Stellung. Am Ende der Brücke stehen zwei Panzer der regulären libanesischen Armee, weitere 50 Meter südlich begrüßen die Milizionäre der in Saida tonangebenden nasseristischen Volksbewegung (OPN) die Reisenden. Saida, hauptsächlich von Sunniten bewohnte Stadt mit 250.000 Einwohnern, auch „Hauptstadt“ des Südlibanon genannt, wird derzeit von einer ganzen Reihe „besonderer“ Umstände beherrscht, die der Stadt nicht nur ein einzigartiges Flair, sondern auch zahlreiche Unwägbarkeiten politischer Natur bescheren. Zwischen den regionalen Militärblöcken, Israel und Syrien, scheint noch nicht ausgemacht, wer am Ende in Saida steht. Als am 22. Februar Syrien seine Truppen im Libanon auf ca 35.000 aufstockte und mit seinem Einmarsch der Milizenherrschaft im Westteil der Hauptstadt Beirut ein Ende setzte, da wurde auch in Saida mit baldiger syrischer Besetzung gerechnet. Die äußerst dünne syrische Militärpräsenz in der Umgebung der Stadt deutet jedoch nicht auf einen baldigen Einmarsch hin. Die lokalen politischen und militärischen Kräfte scheinen ihr Wirkungsfeld in wesentlich festerem Griff zu halten als die Kriegsherren und Notabeln anderer Städte Libanons: Trotz starker politischer Spannungen konnte die Eskalation von Gewalt und somit die Intervention jeglicher „Ordnungsmacht“ verhindert werden. 30 Tote bei Israels Luftangriff Zwar fordert der Parlamentsabgeordnete Saidas, Bizri, in regelmäßigen Abständen und in aller Öffentlichkeit den Einmarsch der Syrer, doch seine Meinung findet bei den Bewohnern der Stadt keinerlei Beifall. Mustafa Saad, Sohn des legendären Marouf Saad, der die nasseristische Volksbewegung gründete, hat, seinem Vater gleich, den Syrern ein klares „njet“ beschieden. Und so fällt derzeit häufig der Begriff „befreites Gebiet“, wenn von Saida die Rede geht. In Saida haben wieder Libanesen das Sagen. Nach knapp dreijähriger Besatzungszeit räumte die israelische Armee im Frühjahr 1985 die Stadt. Besonders in den vergangenen Wochen aber steigerten die Israelis ihre Angriffe auf Saida bzw. auf die mit ihr verschmolzenen Palästinenserlager Miyeh–Miyeh und Ain–el–Helwue. Knapp dreißig Tote und hundert Verletzte ge hen allein seit Monatsanfang auf das Konto der israelischen Luftwaffe. In Saida und Umgebung spricht man von einer bevorstehenden militärischen Großaktion der Israelis, wenn nicht gar von einer neuen Invasion im Südlibanon. Die verschiedenen Lokalpolitiker und Beobachter sind sich in ihrer Einschätzung lediglich über das Ausmaß der erwarteten Operation uneins. Ain–el–Helwue bietet seinen 80.000 Bewohnern wenig Schutz. 1982 hatten die Israelis das Camp völlig zerstört. Als die Bewohner mit dem Wiederaufbau begannen, fehlte es am Nötigsten - den Finanzen wie auch der Planung, Schutzräume und Keller zu reparieren bzw. einzurichten. Zwar ist Ain–el–Helwue nicht nur das größte aller Palästinenserlager und beherbergt somit die meisten Kämpfer im Libanon, zwar hat PLO–Chef Arafat im noch immer nicht ganz beendeten „Lagerkrieg“ gerade hier bewiesen, daß er und seine Organisation Al–Fatah wieder ein durchaus ernstzunehmender Faktor im Libanon geworden sind, gegen die technologische Übermacht der israelischen Armee ist jedoch noch kein palästinensisches Kraut gewachsen. Die Trümmer, die die jüngsten Angriffe zurückgelassen haben, sprechen für sich. Die nach und nach wieder in den Libanon zurückgekehrten PLO–Kader wissen um die Verwundbarkeit Ain–el–Helwues. An allen Ecken und Enden des Camps werden Befestigungsarbeiten durchgeführt, beim Stadtrat von Saida wurde die Genehmigung zum Bau von Schutzräumen beantragt, Vorräte werden angelegt. Die Palästinenser versuchen sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Die feindlichen Amal–Milizen, Gegner aus dem „Lagerkrieg“, sind nicht weit. Zwar halten die Palästinenser noch immer drei strategisch wichtige Dörfer östlich von Saida besetzt, die sie im vergangenen Oktober eroberten, doch ein Großteil der vorteilhaften Positionen in den Bergen oberhalb Ain–el–Helwues ist in Händen der Schiitenbewegung. An der Front von Kfar Falous An diesen Frontlinien herrscht keineswegs Ruhe. Scharfschützen liefern sich tägliche Gefechte. Das Hügelland um Saida ist zum Militärgebiet geworden, auch das Palästinenserlager Miyeh–Miyeh gleicht einer zertrümmerten Geisterstadt. Nachdem das Camp im Oktober 82 von christlichen Phalangisten überfallen und niedergebrannt worden war, haben Feddayin, palästinensische Kämpfer, sich dort eingerichtet. Wenige Kilometer weiter östlich beginnt auch schon das Gebiet des Major Lahad und seiner „südlibanesi schen Armee“, einer von Israel ausgehaltenen Marionettenmiliz, das im Süden direkt in die von Israel eingerichtete „Sicherheitszone“ übergeht. Dort, an der Front von Kfar Falous, donnert fast ununterbrochen Gefechtslärm über die karge Berglandschaft und erreicht die Bergdörfer, die ihren Wohlstand aus den dank jahrhundertealter Bewässerungssysteme üppigen Obst– und Gemüseplantagen schöpfen. Zerstörung, Trümmer und verlassene Siedlungen sind auch hier gewohnter Anblick, jedoch gehen sie ausnahmsweise einmal nicht auf Kriegsereignisse, sondern auf ein Erdbeben zurück, das 1954 das Land verwüstete. In diesem Gebiet wimmelt es von kleinen Basen und Unterschlüpfen der libanesischen und palästinensischen Kommandos, die sowohl gegen die Lahad–Milizen als auch gegen die israelischen Besatzer operieren. Je nach politischer Ausrichtung bekennt sich bei erfolgreichen Missionen der „nationale“ oder der „islamische“ Widerstand zu den Aktionen. Hinter beiden Bezeichnungen verbergen sich jedoch Libanesen und Palästinenser verschiedener Parteien. Der größte Teil der fast täglichen Aktionen, so behaupten jedenfalls Kenner der Szene, wurde in den vergangenen Monaten von Kommandos der schiitischen Hizballah (Partei Gottes) und Arafats Al–Fatah durchgeführt. „Es ist fast wieder wie vor 1982“, bestätigen denn auch PLO–Militärs, „das wird Israel sich nicht gefallen lassen. Nach unseren letzten Informationen haben die Israelis in den letzten Tagen ihre Truppen in der Sicherheitszone um einige tausend aufgestockt. Nehmen wir an, diese Informationen stimmen, so halten sich derzeit 20.000 israelische Soldaten mit 200 schweren Fahrzeugen und 38 großkalibrigen Artillerie–Einheiten in der Sicherheitszone auf. Offen bleibt nur, wie weit sie sich mit den Syrern arrangieren können. Davon hängt das Ausmaß der israelischen Interventionen ab.“

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