Sahra Wagenknecht über die Finanzkrise: „Die Illusion ist, dass es so weitergeht“
Sahra Wagenknecht fordert einen Schuldenschnitt, der Banken in die Pleite treiben würde. Der Crash komme sowieso, sagt sie - die Frage sei nur, wer für ihn bezahlen müsse.
taz: Frau Wagenknecht, reden wir über Geld. Wo haben Sie Ihr Geld?
Sahra Wagenknecht: Wir haben uns gerade ein gemeinsames Haus gekauft. Daher habe ich nicht die Sorge „Wohin mit dem Geld?“.
Also in Betongold investiert?
Das Haus ist für uns und keine Anlage. Sonst hätte ich mein Geld bei der Sparkasse. Deren Geschäftsmodell ist noch das vertrauenswürdigste.
Haben Sie Aktien?
Die 43-Jährige ist Vizechefin der Linksfraktion im Bundestag und Finanzexpertin. 2012 erschien ihr Buch „Freiheit statt Kapitalismus: Über vergessene Ideale, die Eurokrise und unsere Zukunft“ bei Campus. Seit Kurzem wohnt sie mit Oskar Lafontaine in einem gemeinsamen Haus in Merzig im Saarland.
Nein. Wenn Aktienkurse steigen, weil Leute entlassen werden, will ich davon nicht profitieren.
Also aus moralischen Gründen?
Ja, außerdem habe ich keine Lust und keine Zeit, mich dauernd mit Kursbewegungen zu befassen.
Sie gehören als Abgeordnete zu den Besserverdienenden. Haben Sie damit ein Problem?
Ich bin bekanntlich für eine stärkere Besteuerung von Besserverdienenden. Es ist schändlich, wenn die einen immer mehr verdienen und andere trotz Vollzeitjobs nicht von ihrer Arbeit leben können. Deshalb brauchen wir außerdem einen Mindestlohn von 10 Euro.
Ist es kein Widerspruch, im Namen von Hartz-IV-Empfängern zu reden, aber selbst relativ reich zu sein?
Ich rede nicht im Namen von Hartz-IV-Empfängern, sondern ich trete für die Wiederherstellung einer ordentlichen Arbeitslosenversicherung ein. Mein politisches Ziel ist nicht Armut für alle, sondern das Gegenteil: dass niemand mehr unter unwürdigen Bedingungen leben muss.
Wenn es nach Gregor Gysi geht, werden Sie 2013 nicht nur Abgeordnete sein, sondern seine Nachfolgerin als Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag – wogegen sich Gysi lange gesperrt hatte. Zufrieden?
Über den neuen Fraktionsvorsitz entscheidet die Fraktion im Herbst 2013.
Gysi hat auch gesagt, Sie hätten „einen distanzierten Charme, der Männer reizt“. Erkennen Sie sich darin wieder?
Zu meinem Charme gehört es, dass ich solche Bemerkungen nicht kommentiere.
Gysi sagt, Sie müssen lernen, Ihre Botschaft einfachen Leuten zu erklären. Hat er recht?
Die Eurokrise ist hochkomplex. Viele haben das richtige Gefühl, dass sie über den Tisch gezogen werden, aber sie haben keine Chance, zu durchschauen, was wirklich abläuft. Nationalistische Scheinlösungen sind leicht präsentiert: Griechen raus aus dem Euro! Wir Linken müssen die ökonomischen Zusammenhänge und die Rolle der Banken erklären. Das ist eine Herausforderung.
Sie greifen dabei gern auf Ludwig Erhards Schrift „Wohlstand für alle“ zurück. Warum?
Um daran zu erinnern, was in der alten Bundesrepublik einst politischer Anspruch war. CDU und FDP berufen sich noch heute gern auf Erhard, aber sie zerstören den Wohlstand von Mehrheiten. Der Ordoliberalismus fordert: Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Das hieße heute, die Vermögenden und Profiteure der Finanzmarktparty zur Kasse zu bitten und nicht Rentner und Beschäftigte. Die milliardenschwere Rettung privater Zockerbanken auf Kosten der Steuerzahler hätte Erhard kaum mitgemacht Außerdem verlangte er, dass die Löhne mit der Produktivität steigen. Heute werden die Löhne mit Leiharbeit, Hartz IV und Werkverträgen nach unten gedrückt.
Sie erwecken manchmal den Eindruck, Erhards „Wohlstand für alle“ wäre ein komplexer Grundlagentext. Dabei ist es eine Wahlkampfschrift aus der Feder eines Ghostwriters für die Wahl 1957. „Bank“ oder „Finanzmarkt“ kommen in dem Buch keinmal Mal vor. Warum führen Sie in der Eurokrise immer wieder Erhard an?
Weil die Forderung „Wohlstand für alle“ sehr eingängig ist und jeder heute erlebt, dass die Politik das Gegenteil bewirkt. Was spricht dagegen, die Bundesrepublik und die CDU mit ihrem eigenen Gründungsanspruch zu konfrontieren? Merkel jedenfalls steht nicht für Wohlstand für alle, sondern für die Sozialisierung der Bankschulden und die staatliche Absicherung der Vermögen der Reichsten.
Oskar Lafontaine hat schon 2005 in Reden auf „Wohlstand für alle“ zurückgegriffen. Haben Sie von ihm die Idee, Erhard für Ihre Position zu reklamieren?
Ob Sie es glauben oder nicht: Ich kann selbstständig denken. Es liegt nahe, andere Parteien mit Traditionen zu konfrontieren, auf die sie sich zu Unrecht berufen. Auch die SPD sollte man immer wieder daran erinnern, dass Willy Brandt Krieg als Mittel der Politik ablehnte.
Wenn Sie – wie einst Erhard – Bundeskanzler wären, wie würden Sie die Eurokrise lösen?
Wir haben heute eine Generalhaftung des Steuerzahlers für die Banken. Der Kleinsparer ist dabei die Geisel, mit der die Finanzindustrie die Regierungen erpresst. Diese permanente Bankenrettung lässt die Staatsschulden weiter steigen und macht die Staaten immer abhängiger. Das muss beendet werden.
Wie?
Durch einen Schuldenschnitt. Ich plädiere dafür, dass mindestens alle Staatsschulden, die auf die Bankenkrise zurückzuführen sind, gestrichen werden. 2007 hatte Deutschland Staatsschulden in Höhe von 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, jetzt sind es über 80 Prozent. In Spanien waren es damals sogar nur 36 Prozent. Die Steuerzahler sollen ausgerechnet an jene Banken, die die Krise verursacht haben, noch über Jahrzehnte Zinsen zahlen. Das ist absurd.
Bei einem solchen Schuldenschnitt müssten Banken und Versicherungen ca. 2 Billionen Euro abschreiben. Sie wären pleite. Das Finanzsystem bräche zusammen. Wollen Sie das?
Nein, die öffentliche Hand hat eine Verantwortung – aber nur für die Einlagen normaler Sparer und den Kreditfluss an die Wirtschaft. Spareinlagen bis zu einer Million Euro sollte sie garantieren. Und auch die Kreditvergabe sollte nicht länger notorischen Zockerbuden überlassen werden, die viel lieber mit Derivaten herumspielen, als einem Mittelständler eine neue Maschine zu finanzieren. Aber der Staat hat keine Verantwortung, spekulative Wettgeschäfte abzusichern.
Die Pleite von Lehman Brothers im Jahr 2008 hat gezeigt, dass es komplizierter ist. Lehman war eine relativ kleine Investmentbank ohne Kundeneinlagen – dennoch gab es aufgrund der Verflechtung eine globale Krise.
Die Verflechtung ist der Fehler. Öffentlichen Kreditinstituten muss es nicht nur verboten sein, zu spekulieren, sondern auch, mit Wettbuden Geschäfte zu machen.
Einverstanden, aber die Verflechtung ist ein Fakt. Sie würden einen globalen Crash riskieren.
Wettbuden und Hedgefonds würden zusammenbrechen. Das wäre nur gut, denn dann würde der überdimensionierte Finanzsektor endlich schrumpfen. Eine Wirtschaftskrise gibt es nur, wenn der Kreditfluss an reale Unternehmen versiegt und die kleinen Leute bluten. Das muss und kann man verhindern.
Aber dies würde doch auf die Realwirtschaft zurückwirken. Die Banken würden in ihrer Not versuchen, ihre Vermögenswerte wie Aktien und Kreditforderungen zu verkaufen. Das Ergebnis wäre eine tiefe Krise wie 1931.
Das Auf und Ab der Aktienkurse ist für die reale Produktion ohne jede Bedeutung. Die Börsen haben sich von ihrer alten Rolle als Finanzier der Wirtschaft längst verabschiedet. Es gibt derzeit eine gigantische Blase. Seit 25 Jahren wächst der Finanzsektor ungleich schneller als die Realwirtschaft. Die Frage ist nicht, ob die Blase platzt, sondern nur, auf wessen Kosten sie platzt. Derzeit steuern wir auf einen unkontrollierten Crash zu. Es ist besser, kontrolliert die Luft herauszulassen. Wenn der Derivatehandel zusammenbricht, na und?
Warum nicht einfach kontrolliert die Luft ablassen, indem man die Reichen sehr hoch besteuert? Das wäre sicherer als ein Bankencrash …
Wir sind für hohe Reichensteuern. Aber der Finanzsektor muss verkleinert werden.
Ein Schuldenschnitt, der die Reichen enteignet und die Gesellschaft ungeschoren lässt – ist das nicht nur eine hübsche Illusion?
Die Illusion ist, dass es so weitergehen kann. Und ich weiß auch nicht, warum immer nur die Enteignung von Normalverdienern als praktikabel gilt.
Jürgen Habermas und Peter Bofinger glauben, dass der Euro dauerhaft nur zu retten ist, wenn die nationalen Parlamente einige ihrer Rechte an eine gewählte europäische Regierung abtreten. Die SPD unterstützt dies. Einverstanden?
Wir brauchen in der Eurozone Mindeststeuersätze auf hohem Niveau, gerade bei Unternehmen und Vermögen, um den Steuersenkungswettbewerb zu stoppen. Und Ländern, in denen die Löhne deutlich langsamer steigen als die Produktivität, sollten Sanktionen drohen. Aber eine EU-Superbehörde, die in die einzelnen Länder hineinregiert, ist mit einem demokratischen Anspruch nicht vereinbar.
Den Euro schützen ja, Rechte an Europa abgeben nein – da klingt die CSU auch nicht anders.
Die CSU tut derzeit alles, um mit nationalistischer Hetze Europa zu spalten und den Euro kaputt zu machen. Wogegen ich mich wende, ist die Zerstörung der Demokratie. Wie wäre denn eine europäische Regierung heute legitimiert? Schauen Sie sich die Beteiligung bei Wahlen zum Europaparlament an: Die meisten gehen nicht hin. Dieses Parlament ist dem Wähler fremd, es ist kaum öffentlich beaufsichtigt und deshalb sehr anfällig für die Einflüsterungen mächtiger Wirtschaftslobbys.
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