: Saddams deutsche Helfer vor dem Kadi
Vor dem Landgericht Darmstadt beginnt der Prozeß gegen zehn Manager, die Giftgas-Technologie in den Irak geliefert haben ■ Von Thomas Scheuer
Darmstadt (taz) — Von den Verantwortlichen in Bonn wurde sie jahrelang ignoriert oder verharmlost; während des Golfkrieges sorgte sie weltweit für Schlagzeilen und Empörung; vom heutigen Montag an wird sie in einem mit Spannung erwarteten Strafprozeß juristisch aufgearbeitet: die deutsch-irakische „Giftgas-Connection“. Vor der 13. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt müssen sich zehn Vertreter deutscher Firmen verantworten, denen die Staatsanwaltschaft vorwirft, mit der Lieferung von Anlagen und Chemikalien für die Produktion von Giftgas gegen die Exportbestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) verstoßen zu haben.
Beschuldigt werden sieben Manager der beiden Schwesterfirmen Karl Kolb und Pilot Plant sowie der Firma Lab Consult aus dem hessischen Dreieich und des Hamburger Unternehmens Water Engineering Trading (W. E. T.). Drei weitere Kaufleute sollen Chemikalien sowie Spezialwerkzeuge zur Bombenherstellung geliefert haben. Die Angeklagten sollen durch ihre Lieferungen wesentlich dazu beigetragen haben, daß die irakischen Militärs zwischen 1983 und 1985 nahe der Stadt Samarra einen riesigen Komplex zur Herstellung von Kampfgasen und deren Abfüllung in Granaten, Bomben und Gefechtsköpfe für Raketen errichten konnten.
Der Prozeß, in dessen Verlauf über 80 Gutachter und Zeugen gehört werden sollen, wird etwa zwei Jahre dauern. Auf der Anklagebank werden jene Regierungsvertreter fehlen, die trotz zahlreicher Hinweise der Geheimdienste und der Medien den Beitrag der deutschen Giftgas-Söldner für Saddam Husseins Waffenarsenale — nicht nur im Falle Samarra — ignorierten oder gar duldeten. Schon im März 1984 meldete die 'New York Times‘ unter Berufung auf Geheimdienstberichte, daß die Karl Kolb GmbH den Samarra-Komplex seit 1981 mit Ausrüstungen zur Giftgas-Produktion beliefere. Karl Kolb — Werbespruch: „Serving mankind by serving science“ — dementierte, und das war's denn auch. Völlig unbeeindruckt installiert die Firma „Rhema Labortechnik“ im April 1984 im Auftrag Karl Kolbs im Irak eine Inhalations-Kammer für Gas-Tests an Tieren. Zwar verschärft die Bundesregierung im August 1984 die Außenwirtschaftsverordnung. Doch die giftigen Geschäfte gehen weiter.
Im Sommer desselben Jahres gründen zwei Manager des Preußag- Konzerns in Hamburg die Handelsfirma Water Engineering Trading (W. E. T.). Die neu gegründete Firma der vormaligen Preußag- Leute unterbreitet im Frühjahr 1985 den Irakis ein 20 Millionen Mark schweres Angebot über ein „Project 33/85“. Hinter dem Kürzel verbergen sich zwei komplette Fabriken zur Herstellung von Phosphortrichlorid (PCL 3) und Phosphoroxitrichlorid (POCL 3), beides Ausgangsstoffe für die Synthese der Kampfgas-Klassiker Tabun und Sarin sowie moderner VX-Nervengifte. Sie werden im Sommer 1986 per LKW über die Türkei ins irakische Falluja gekarrt. Im November 1987 schlagen die Behörden endlich zu: Beim Zollkriminalinstitut Köln wird eine Sonderkommission, die „Soko Irak“, gebildet. In einer großangelegten Razzia bei Karl Kolb, Pilot Plant, W. E. T. und bei weiteren Firman werden jene insgesamt 52 Umzugskartons mit Beweismitteln beschlagnahmt, auf die sich heute die 266 Seiten dicke Anklageschrift stützt.
Die Anklagebehörde muß in der Hauptverhandlung beweisen, daß die von den beschuldigten Firmen gelieferten Chemie-Ausrüstungen speziell für die Produktion von Kampfstoffen konstruiert waren. Als wissenschaftlichen Kronzeugen bieten die Staatsanwälte den Schweizer Professer Werner Richarz von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich auf, der in einem ausführlichen Gutachten zu dem Schluß kommt, daß die fraglichen Anlagen eindeutig zur Giftgas-Synthese geplant wurden und zur Herstellung anderer Produkte — etwa von Pflanzenschutzmitteln, wie die Angeklagten behaupten — gar nicht geeignet seien. Das Gericht will auch Berichte der UNO-Inspektoren beiziehen, die seit Kriegsende die irakischen Arsenale an Massenvernichtungswaffen aufspüren und vernichten sollen.
Nach Informationen der taz bestätigen die UNO-Reports aus „Muthana“, so nennen die Irakis das Chemiewaffenzentrum bei Samarra, im wesentlichen die Rekonstruktionen der Ermittler und der Geheimdienste. Das etwa 15 Quadratkilometer große „Muthana“-Zentrum besteht aus fünf Komplexen. Den Bereich A, wo Tausende Fässer mit Vorprodukten lagern, nennen die UNO-Leute ironisch „international container- area“ — wegen der Firmenaufkleber aus aller Welt. Bereich B, ein Bunker für einsatzfähige Munition, wurde im Krieg zerstört. Im Bereich C stehen zwei Produktionsanlagen für Senfgas (durch Bombardement schwer beschädigt) und Sarin (noch intakt). Sektor D besteht aus einem unterirdischen Laborkomplex. Im Bereich E, etwas abseits gelegen, befindet sich die im Krieg völlig zerstörte Abfüllstation. Dort wird derzeit eine Verbrennungsanlage zur Vernichtung der Kampfstoffe unter UNO-Aufsicht gebaut.
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