piwik no script img

Keine Fortschritte im GolfkonfliktSaddam Hussein igelt sich zunehmend ein

■ Iraks Staatspräsident Saddam Hussein hat wiederum eine Chance, die Krise am Golf zu entschärfen, verstreichen lassen. Gorbatschows Sondergesandter Primakow flog unverrichteterdinge aus Bagdad ab. Innenpolitisch setzt Saddam auf Autarkie: Iraks Landwirtschaft soll die gleiche strategische Bedeutung erhalten wie die Rüstung. Der Erdölminister mußte wegen Panikmache und Benzinrationierung seinen Hut nehmen.

Unter bestimmten Gesichtspunkten ist die Blockade sogar ein Segen für den Irak“, sagt Hassan, ein Journalist, der seit zwanzig Jahren im Irak arbeitet. „Sie zwingt die Führung des Landes, ihre bisherige Wirtschaftspolitik zu überdenken und ihr Augenmerk wieder mehr auf die Landwirtschaft zu lenken.“ Die Bevölkerung Bagdads hat sich eingerichtet auf die angespannte Versorgungslage. Ein Spaziergang über die Märkte der Hauptstadt vermittelt den Eindruck, daß zwar die Auswahl nicht üppig ist, Stände und Regale aber keineswegs leergefegt sind. Die wichtigsten Gemüsesorten wie Tomaten, Gurken, Auberginen, Zucchini und Kartoffeln sind in ausreichender Menge und zu erschwinglichen Preisen zu haben.

Schon eine irakische Volksweisheit will, daß manchmal auch ein Schaden von Nutzen sein kann. Das Ölzeitalter hat die irakische Gesellschaft fast vollständig in einseitige Abhängigkeit getrieben. Nahezu alles wurde teuer importiert, sogar Lebensmittel. Und das, obwohl der Irak traditionell ein Agrarland ist. Durch die Blockade ist der Irak plötzlich gezwungen, sich selbst zu versorgen. Saddam Hussein setzt auf Autarkie. Zur Zeit wird in Bagdad alles daran gesetzt, die landwirtschaftliche Produktivität anzukurbeln. Bauern werden vom Wehrdienst und von Reserveübungen befreit. Am 9. September wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach jeder das Recht hat, auf Staatsland Getreide anzubauen. Ungenutzter Privatboden wird kurzerhand vom Staat beschlagnahmt. Als Produktionsanreiz wurden die staatlichen Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse um bis zu 100 Prozent erhöht, die Preise für Düngemittel um 20 Prozent gesenkt. Das Volumen der landwirtschaftlichen Kredite hat sich verdoppelt, und deren Verzinsung wurde abgeschafft. Traktoren, die zuvor fürs Militär beschlagnahmt wurden, rollen heute wieder über Iraks Äcker.

„Bauern, brecht die Blockade. Wir müssen jeden Zentimeter unseres Bodens bearbeiten!“ Überall in der Stadt, auf öffentlichen Plätzen und Hausmauern derselbe Slogan. Jeden Tag rufen die irakischen Zeitungen die Bevölkerung auf, kleine Gemüsegärten anzulegen. Das Saatgut wird vom Staat zu verbilligten Preisen angeboten. Der Leiter einer der staatlichen Landwirtschaftsberatungsstellen erzählt, daß jeden Tag 150 bis 200 Leute kämen und Samen verlangten, „weil sie zu Hause einen Garten anlegen wollen“.

„Wir sind ein verschwenderisches Volk, das diese Blockade verdient hat“, sagt Abu Haschem, mein Gastgeber. „Wenn wir Reis kochten, kochten wir dreimal soviel, wie wir tatsächlich brauchten. Das hat jetzt ein Ende.“ Seit Beginn der Krise am Golf erhalten die Iraker zwölf verschiedene Waren zu subventionierten Preisen auf Lebensmittelkarten, darunter Reis, Zucker, Tee, Milch, Seife, Waschpulver und Hülsenfrüchte. Die Familien müssen mit den Rationen sorgfältig wirtschaften. Auf meine Frage, ob die Zuteilungen reichen, antworteten die meisten Frauen: „Wenn wir alles genau einteilen, dann reicht's.“

Die Zuteilung der Lebensmittel wird mathematisch genau und mit „eiserner Hand“ geplant und durchgeführt. Bagdads Lokalverwaltungen verfügen in jedem Stadtteil über genaue Einwohnerstatistiken. Auf ihrer Grundlage werden den örtlichen Verwaltungen die Lebensmittelrationen zugeteilt, die sie ihrerseits der Bevölkerung weiterleiten. Dabei ist genauestens festgelegt, welche Familie sich an welchem Tag und an welcher Verteilungsstelle ihre Ration abholen kann. Das scheint gut zu funktionieren, denn außer vor Bäckereien gibt es in der Stadt keine Käuferschlangen.

Das größte Problem in Bagdad ist das Brot. Die Regierung ermuntert die Menschen, ihr Brot selbst zu backen. Sie können wählen zwischen Lebensmittelkarten für drei Brotfladen pro Tag und Person oder der entsprechenden Menge Mehl. Aber kaum jemand in der Hauptstadt weiß noch, wie man Brot backt. Und so bilden sich vor den Bäckereien nach wie vor lange Käuferschlangen. Kaum noch zu haben sind Süßigkeiten. Viele Konditoreien mußten mangels Zucker, Mehl und Öl zumachen. Und auch zahllose „Schai- Khane“, die traditionellen Teehäuser, mußten ihre Tore schließen. Die wenigen, die noch geöffnet haben, haben ihre Preise um ein Vielfaches erhöht.

Der Schwarzmarkthandel mit rationierten und subventionierten Gütern ist streng sanktioniert: Bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis und die Beschlagnahme des gesamten Eigentums drohen denjenigen, die beim Schwarzhandel erwischt werden. Die Händler haben Angst. Früher horteten sie die Waren und verkauften sie zu überhöhten Preisen. Umm Khaldun ist Hausfrau. Auf meine Frage, ob es ihr angesichts der Blockade nicht schwerfalle, für ihre Familie das Lebenswichtige zu finden, erklärt sie: „Nach acht Jahren Krieg mit dem Iran sind wir es gewohnt, den Gürtel enger zu schnallen. Und seit dieser Zeit haben wir immer für mehrere Monate Reserven im Haus. Wenn etwas fehlt, verzichten wir eben und essen was anderes. Und schließlich“, hier zögert sie und lacht, „schließlich sind wir aus Mossul, und die Leute aus Mossul sind bekannt für ihren Geiz. Der kommt uns jetzt möglicherweise zugute.“ Khalil Abed Rabo, Bagdad

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen