: Sackgasse Linkspartei
Die Gewerkschaften sind mächtig, wenn sie für Arbeitnehmerrechte streiten – dafür müssen sie parteipolitisch unabhängig und in der Mitte der Gesellschaft verankert sein
Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst einer Linkspartei. Es klingt paradox und anachronistisch: Während das Vertrauen der Bürger in die Politiker sinkt und die Parteienverdrossenheit steigt, machen sich enttäuschte Sozialdemokraten, frustrierte Gewerkschafter, heimatlose Linke, Globalisierungskritiker und andere Agenda-2010-Gegner auf den „alten“ Weg, eine neue Partei zu gründen – und fühlen sich neuerdings jeden Montag etwas besser.
Die Anstöße, eine neue Partei auf den Weg zu bringen, kommen hauptsächlich von hauptamtlichen Funktionären aus einigen Gewerkschaften. Obwohl sich die DGB-Spitze und auch die Chefs wichtiger Einzelgewerkschaften mehrmals öffentlich distanziert und abgegrenzt haben, wird die „Wahlalternative“ von den meisten Beobachtern als „Gewerkschaftspartei“ wahrgenommen.
Diese Geburtshelfertheorie wird nicht ganz zu Unrecht vertreten, wie ein Blick auf die personelle Zusammensetzung des Vereinsvorstandes und auf die regional Verantwortlichen zeigt. Denn: Funktionäre aus dem mittleren Führungskader wichtiger Einzelgewerkschaften besetzen zentrale Schlüsselpositionen und geben auch öffentlich den Ton an. Hinzu kommt, dass sich in den Gewerkschaften viele viel von der neuen Partei versprechen. Zu Recht? Nein. Die Linkspartei ist kein geeigneter Weg, die aktuelle Schwächephase der Gewerkschaften zu überwinden, sondern Ausdruck ihrer strukturellen Krise.
Für die Gewerkschaften ist es fatal, wenn sie mit der Gründung einer Partei in Verbindung gebracht werden. Das bringt nicht nur das historisch überaus erfolgreiche Modell der Einheitsgewerkschaft in Bedrängnis, sondern es führt auch dazu, dass die Gewerkschaften weiter an Glaubwürdigkeit verlieren.
Denn es ist neben ihrer starken Verankerung auf der betrieblichen Ebene und ihren Kompetenzen in tarif- und betriebspolitischen Fragen besonders die parteipolitische Unabhängigkeit, die über den gesellschaftlichen Einfluss und die politische Macht der Gewerkschaften entscheidet – nicht ihre parlamentarische Präsenz im Bundestag oder Sitze in Landesparlamenten.
Selbstverständlich liegt es im Interesse der Mitglieder, wenn die Gewerkschaften in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen arbeitnehmerorientierte Positionen vertreten und versuchen, sie auch auf der politischen Bühne erfolgreich durchzusetzen. Dazu brauchen die Gewerkschaften eine ehrliche Diskussion darüber, wie sie zu alter Einflussstärke und neuer Gestaltungsmacht kommen können.
Die Auseinandersetzung über die wahlpolitischen Optionen, die den Gewerkschaften von den Akteuren der Linkspartei aufgedrängt wird, lenkt nur von den eigentlichen Problemen ab. Denn die Gewerkschaften haben nicht die Aufgabe, einseitig mit parteipolitischen Wahlangeboten zu flirten, sondern den Auftrag, breite Mitgliederinteressen durchzusetzen. Dazu braucht man inhaltliche Konzepte, die die Mitglieder überzeugen, die in der Gesellschaft auf Resonanz stoßen und in den Parlamenten Unterstützung finden – aber keine neue Partei.
Den Gewerkschaften muss es darum gehen, ihren Platz in der gesellschaftlichen Mitte zu festigen. Realistische Programme, Wille zur Überparteilichkeit, Fähigkeit zu pragmatischen Lösungen und Bereitschaft zum politischen Dialog mit allen demokratischen Parteien entscheiden über betriebliche Möglichkeiten, gesellschaftlichen Einfluss und politische Akzeptanz der Gewerkschaften. Wer als Gewerkschaftsvertreter mit dem Gedanken spielt oder gar die Absicht hegt, eine dezidiert politische Richtungspartei zu unterstützen, entfernt sich politisch und kulturell von der breiten Mitgliedschaft.
Gerade die um gesellschaftliche Akzeptanz und gegen Mitgliederschwund kämpfenden Gewerkschaften dürfen sich nicht an den Rand des politischen Spektrums manövrieren. Nur wenn sie fest in der Mitte verankert sind, können sie erfolgreich ihre Stimme für Arbeit und soziale Gerechtigkeit erheben. Für die solidarische Umgestaltung des Sozialstaates braucht man Unterstützung aus der breiten Mitte der Gesellschaft. Als linker Außenverteidiger können die Gewerkschaften zwar überleben, aber nicht die Gesellschaft im Interesse der Beschäftigten und Arbeitslosen gerechter gestalten.
Gerade in Zeiten sozialen Wandels und vor dem Hintergrund weit reichender ökonomischer Veränderungen werden starke Gewerkschaften als betriebliche Interessenvertretung und gesellschaftliche Gestaltungsmacht gebraucht. Diesem Anspruch können sie aber nur gerecht werden, wenn sie zu realistischen Einschätzungen der Rahmenbedingungen kommen und ihre Mitglieder auf den notwendigen Reformprozess einstellen. Alle inhaltlichen Debatten, die bisher im Umfeld der Wahlalternative geführt werden, lassen erkennen, dass hier der Weg zurück in die Politikmodelle der Siebzigerjahre gefordert wird und wenig Sensibilität für die Fragen des 21. Jahrhunderts zu finden ist.
Die Gewerkschaften stehen vor wichtigen strategischen Weichenstellungen und entscheidenden programmatischen Antworten: betriebs- und tarifpolitisch, aber auch in Fragen der Sozial- und Gesellschaftspolitik. Wahrscheinlich müssen sie Abschied nehmen von mancher Gewissheit, die das System der industriellen Beziehungen im „Modell Deutschland“ der alten Bonner Demokratie ausgezeichnet hat. So schwer es den Gewerkschaften auch fallen mag, Abschied zu nehmen von tradierten Lösungsansätzen und sich zu öffnen für neue Antworten, so unverkennbar ist es, dass sie sich auf diesen Weg begeben müssen. Die Linkspartei wird kein Partner in diesem Prozess sein können. Denn sie stärkt nur die Illusion, mit den Konzepten von gestern die Fragen von morgen beantworten zu können. Die Wahlalternative hilft den Gewerkschaften nicht, ihre Interessen durchzusetzen, sondern sie wird für die notwendige programmatische Erneuerung der Gewerkschaften wie ein Hemmschuh wirken.
Anstatt ihren Mitgliedern den Wandel zu erklären und sie mitzunehmen auf den notwendigen Reformkurs, suggerieren die Gewerkschaften allzu oft, durch Blockade Altbewährtes retten und durch Verweigerung Schlimmeres verhindern zu können. Diese Haltung hat aber nicht zu mehr Zustimmung durch die Mitglieder geführt und auch nicht ihre Rolle als fortschrittliche Reformkraft gestärkt, sondern die Chancen für die Gewerkschaften minimiert, politisch als machtvoller Gestaltungsfaktor zu agieren.
Es kann aber nicht im Interesse der Gewerkschaften liegen, weiter an Einfluss, Macht und Gestaltungsmöglichkeiten zu verlieren. Von Interesse für die Arbeitnehmer ist vielmehr, dass die Gewerkschaften ihre Einflusskanäle stabilisieren, um im politischen Geschäft bleiben und ihre Anliegen durchsetzen zu können. Die Linkspartei weist dafür nicht den geeigneten Weg.
JUPP LEGRAND