Sachsen: Der Ziehsohn des ärgsten Feindes
Sachsens Regierungschef Milbradt will sich ausgerechnet mit einem Vertrauten seines Vorgängers Biedenkopf retten: Michael Sagurna wird Chef der Staatskanzlei.
BERLIN taz Michael Sagurna schätzt, dass ihn Kurt Biedenkopf etwa einen Zentimeter gekostet hat. Körpergröße. Das wäre nur natürlich. Er hat Biedenkopf ein Jahrzehnt lang durchs Regieren begleitet. Wenn die zwei zu Sitzungen eilten, hat der 1,85 Meter große Spitzenbeamte sich beim Sprechen immer runtergebeugt zum 1,71 Meter kleinen sächsischen Ministerpräsidenten. Es war kein Bückling, es sah vertraut aus. Manchmal lächelte Biedenkopf spitzbübisch rauf.
Heute, mehr als fünf Jahre nachdem Biedenkopf vom CDU-Rivalen Georg Milbradt gestürzt wurde, geht Sagurna immer noch etwas gebeugt. Biedenkopf kommt nicht wieder. Aber Sagurna. Ministerpräsident Milbradt holt ihn in die Regierungszentrale. Ausgerechnet er soll ihn als neuer Chef der Staatskanzlei aus der Misere ziehen, in der Milbradt nach der Affäre um Geheimdienstakten und Notverkauf der Landesbank steckt. Ausgerechnet Sagurna, einst engster Mitarbeiter des Erzfeindes.
Sagurna, ein Westfale, war Fernsehjournalist bis Biedenkopf ihn 1991 holte. Er koppelte seine Karriere an die des Chefs, begeisterte sich für ihn, wurde zum Staatssekretär befördert. Er blieb bis zuletzt, selbst als die Abwehrschlacht gegen Milbradt aussichtslos wurde und immer neue Biedenkopf-Affären auftauchten. Die Journalisten schüttelten den Kopf, aber Sagurna stellte sich vor seinen unduldsamen kleinen König. Als Milbradt in die Staatskanzlei einzog, war klar: Sagurna muss gehen.
Er ist in ein Loch gefallen. Einmal trat er abends aus dem Theater und wartete an der Straße. Der Dienstwagen kam nicht. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass er keinen mehr hat.
Von draußen ärgerte er sich, wenn Milbradts Leute stümperten. Er baute eine kleine Beratungsfirma auf. PR für eine Mikroelektronikfirma, für Privatradios, die Volkssolidarität. Er entwarf Konzepte und Broschüren für Leute, die vorher auf Termine mit ihm warten mussten. Nebenher war er Synchronsprecher. Einmal war er die Stimme einer Figur in einem japanischen Zeichentrickfilm, sonst sprach er Fernsehdokumentationen.
Die Erzählstimme ist eine der Eigenschaften, die ihn bei Biedenkopf so erfolgreich machten. Der Professor belehrte die Leute. Sagurna erzählte. "You want the whole story?", fragte er die Journalisten. Natürlich waren es immer Geschichten, die der Regierung halfen.
2005 ist er einer von Angela Merkels Kandidaten fürs Amt des Regierungssprechers. Eine Riesenchance. Am Ende nimmt sie den Bayern Ulrich Wilhelm. Vielleicht hegt sie Misstrauen wegen Sagurnas Bekanntschaft mit ihrem Feind Friedrich Merz. Vielleicht ist er ihr schon zu lange aus dem Geschäft. Als PR-Berater hat Sagurna etwas vom Elan der Biedenkopf-Zeit verloren. Der kleine Professor hatte ihn auch etwas größer gemacht.
Dann fragt ihn Milbradt, der Mann, der Sagurnas Ziehvater auf dem Gewissen hat und jetzt selbst ums politische Überleben kämpft. Milbradt ist ein sperriger Zahlenmensch, ein Einzelgänger. Es binden sich wenige an einen Politiker, der die beste Zeit hinter sich hat. Sagurna muss das nicht stören. Der 51-Jährige kann mit Milbradts Gegnern in der CDU. Diesmal wird seine Karriere nicht an der des Chefs hängen. Auch mit Kanzleramtschef Thomas de Maizière, potenzieller Nachfolger des Ministerpräsidenten, versteht er sich.
Milbradt ermöglicht Sagurna einen ungewöhnlichen Schritt. Er wird nicht Beamter sein, sondern Minister. Als Chef der Staatskanzlei soll er den gelähmten Regierungsapparat reorganisieren. Entscheidungen ordnen, vorfühlen, absprechen. Er muss den Regierungschef glänzen lassen. Ausgerechnet Milbradt.
Sagurna selbst will nach innen wirken. Sprecher wird ein anderer. Eine Staatskanzlei sei wie ein Eisberg, sagt er. "Über der Wasserlinie arbeitet der Regierungssprecher. Unter der Wasserlinie werden die Verabredungen in der Regierung getroffen, mit der CDU, mit dem Koalitionspartner SPD. Dort arbeite künftig ich." Er hat fast wieder den Erzählton von früher.
Fragt man Sagurna, warum er den Job überhaupt macht, antwortet er mit einer Geschichte. Wie er 1991 nach Dresden kam, wie seine vier Kinder dort aufwuchsen, dass er seine Heimat gut regiert haben möchte. Von der CDU. Und Biedenkopf? "Wir haben das abgewogen. Er hat nicht gesagt: Machen Sie das nicht."
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