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Sachbuch „Kampf der Ideen“Aufklärung und Gegenaufklärung

Der Politologe Salzborn präsentiert eine Geschichte politischer Ideen im Kontext gesellschaftlicher Kämpfe um Deutungshoheit und Macht.

Unfreie Arbeitsverhältnisse und Abhängigkeit: Minenarbeiter im südafrikanischen Rustenburg streiken. Foto: reuters

Das von Islamisten verübte Massaker in Paris am 13. November 2015 hat die Debatte über einen Kampf der Kulturen erneut angefacht. Weil die französische Hauptstadt als Symbol für weltliche Genüsse keineswegs zufällig zum Tatort islamischer Fundamentalisten wurde, die ihr Motto „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“ grausame Realität werden ließen, wertete François Hollande den Anschlag als Kriegserklärung.

Verschiedene rechte Parteien forderten unmittelbar die Schließung der europäischen Grenzen, während die Flüchtenden aus dem Nahen Osten doch gerade dem Terror von Islamisten und Diktatoren zu entgehen suchen. Angesichts dieser Situation ist das neue Buch, „Kampf der Ideen“, des in Göttingen lehrenden Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn von beunruhigender Aktualität.

Es handelt sich um eine Einführung in die politische Ideengeschichte, die sich aber von den meist personen- oder problemorientierten Überblicksdarstellungen dahingehend unterscheidet, dass sie ihren Gegenstand im historischen Kontext der politischen und sozialen Bedingungen rekonstruiert und eine interessante thematische Auswahl von Theoretikern präsentiert. Salzborn begreift die Geschichte politischer Ideen nicht als philosophische Gedankenübung, sondern als Ursprung wie auch als Konsequenz gesellschaftlicher und politischer Konflikte, folglich als „einen Kampf um Deutungshoheit und damit letztlich um politische und gesellschaftliche Macht“.

Denker wie John Locke oder Thomas Hobbes werden ebenso behandelt wie einflussreiche Theorien der Souveränitätslehre. Besonderes Augenmerk legt der Autor auf die Genese der Aufklärung und die damit zusammenhängenden Konzepte von Subjekt und Individualität, wobei er die Ambivalenzen herausarbeitet. Die „Dialektik der Aufklärung“ strukturiert die thematische Auswahl.

Salzborns Buch ist politische Wissenschaft im besten Sinne

Salzborn betont den Widerspruch zwischen dem allumfassenden Anspruch der Aufklärung und ihrer eingeschränkten Geltung. So waren etwa Frauen und Sklaven von Beginn an von dem Versprechen ausgeschlossen. Permanenter Konfliktstoff – bis in die heutige Zeit – ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen dem postulierten Universalismus der Werte und der partikularen Herkunft der Aufklärung aus der spezifischen Entwicklung des Westens.

Dieses nicht zu überbrückende Missverhältnis brachte immer wieder Gegenbewegungen hervor, die entweder die realen Widersprüche in emanzipatorischer Weise kritisierten oder die Aufklärung in Gänze verdammten und die Widersprüche in einem kollektiven Zwangssystem auflösen wollten. Die totalitären Bewegungen der Zwischenkriegszeit, wie Faschismus oder Stalinismus, sind genauso Beispiele dafür wie später die antikolonialen Bewegungen in der Dritten Welt.

Dritte Gegenwelle

Salzborn liefert ein Panorama über so disparate Denker und Bewegungen wie den Maoismus und die Muslimbrüder, den antikolonialen Vordenker Frantz Fanon, den panafrikanischen Politiker Kwame Nkrumah und den Bürgerrechtler Martin Luther King. Die Genese der Umweltdebatte wird ebenso historisiert wie die Postmoderne, die aktuellen Auseinandersetzungen über Menschenrechte und Möglichkeiten demokratischer Partizipation.

Abschließend diskutiert Salzborn die großen antiuniversalistischen Ideologien des Antisemitismus, Antiamerikanismus und Islamismus. Sie eint ein Hass auf die Moderne. Ihren Aufschwung verortet der Autor im Zusammenhang mit der – geschichtlich betrachtet – „dritten Gegenwelle“ gegen Demokratisierung, die mit den Anschlägen in New York am 11. September 2001 einsetzte. Die Stärke des Buches besteht nicht nur in einer gut lesbaren Überblicksdarstellung. Da der Autor die Geschichte politischer Ideen materialistisch und ideologiekritisch an ihr gesellschaftliches Fundament – den Kampf um Deutungshoheit und letztlich politische Macht – zurückbindet, liefert er zugleich ein Interpretationsangebot für die aktuelle (welt-)politische Situation.

Auch wenn einige Leser der deutlichen Positionierung für die westliche Demokratie mit ihrer politischen Verfasstheit und ihrem gesellschaftlichen Pluralismus nicht in jeder Hinsicht folgen mögen, so reflektiert Salzborn doch beständig auf die inhärenten Widersprüche und Schattenseiten der Aufklärung. Gerade eine Parteinahme für den Westen müsse Auschwitz als Zivilisationsbruch in den Mittelpunkt der Theoriebildung stellen.

Kampf der Ideen

Samuel Salzborn: „Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Ideen im Kontext“. Nomos, Baden-Baden 2015, 201 S., 29 Euro

Salzborns Buch ist politische Wissenschaft im besten Sinne: intellektuell anregend und kontrovers, er scheut sich nicht vor einer klaren Position und liefert eine Interpretation zum besseren Verständnis der Gegenwart.

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2 Kommentare

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  • 3G
    30226 (Profil gelöscht)

    Wer schadet der Aufklärung mehr? Der Selbstmordbomber oder der, der den Begriff "Aufklärung" für politische Machtinteressen mißbraucht und diskreditiert?

     

    Antiuniversalistische Ideologie des Antiamerikanismus?? Inwiefern ist der Aufbau eines unipolaren Machtapparates zur globalen Durchsetzung von Kapitalinteressen eine universalistische Idee?

     

    Hier sorgt sich wohl jemand um die Aufklärung, der sich sonst um auklärerische Inhalte nicht viel Gedanken macht. So wie die Antideutschen, die sich besonders dann für Israel interessieren, wenn sie Sorge um Papas Aktiendepot haben.

  • Klingt ziemlich interessant! Auch, weil ich es gut finde, wenn sich Leute, die hier sozialisiert wurden, deutlich zugunsten der "westliche[n] Demokratie mit ihrer politischen Verfasstheit und ihrem gesellschaftlichen Pluralismus" positionieren. Wie denn auch sonst? Auf der Seite von Dingen, von denen sie gar nichts verstehen?

     

    Dass man "die Geschichte politischer Ideen" auch anders interpretieren kann denn "als Ursprung wie auch als Konsequenz gesellschaftlicher und politischer Konflikte" bzw. als "einen Kampf um Deutungshoheit und damit letztlich um politische und gesellschaftliche Macht", hätte ich im Übrigen nicht gedacht. Um sie für eine "philosophische Gedankenübung" zu halten, muss man schon ziemlich empathielos sein, oder?