Saarlands Grünenchef über Jamaika-Koalition: "Es ist ein historisches Projekt"
Der saarländische Grünen-Chef Hubert Ulrich über neue Konstellationen im Fünfparteiensystem, grüne Inhalte und persönliche Abneigungen.
taz: Herr Ulrich, welche Rolle spielen persönliche Animositäten in der Politik?
Hubert Ulrich: Wenn Sie damit meinen, unsere Entscheidung für eine Jamaika-Koalition im Saarland war von persönlichen Animositäten gegen Rot-Rot-Grün geprägt, dann ist das völliger Unsinn. Ausschlaggebend war die Frage nach der Stabilität der Regierungskoalition. Und die sahen wir mit der Linksfraktion nicht gegeben. Sie müssen sehen, dass es für Rot-Rot-Grün nur eine Mehrheit von zwei Sitzen gab. Diese Stimmen hatten einen Namen, Barbara Spaniol und Ralf Georgi von der Linksfraktion. Die eine ist die Ehefrau, der andere ein Angestellter des dubiosen Arztes Andreas Pollak mit einer mehr als bedenklichen Vorgeschichte.
Sie meinen, dass er früher bei den Grünen war?
Bei den Grünen ist er zum Glück schon lange nicht mehr. Wir haben uns entfremdet, und dafür gab es Gründe. Jetzt ist er die graue Eminenz eines wichtigen Teils der Linkspartei. Pollak hätte bei Entscheidungen den Daumen gehoben oder gesenkt. Ich befürchte, dass seine persönlichen Vorteile darüber entschieden hätten, wer hier eine Mehrheit hat.
Sie nehmen die Ex-Grüne Spaniol in Sippenhaftung, weil sie mit einem Kriminellen verheiratet ist?
Nein. Aber Spaniols Wechsel zur Linken hatte keinerlei politische Beweggründe. Bis zum Tag ihres Übertritts hatte sie keine einzige Position der Grünen kritisiert. Auch nicht intern. Sie wird von Pollak als Schachfigur benutzt.
Spielte bei Ihrer Entscheidung für Jamaika auch Ihre geschäftliche Verbindung zu einem FDP-Politiker eine Rolle?
Ich habe keine geschäftlichen Verbindungen zu einem FDP-Politiker. Ich habe auf Teilzeitbasis in einem Unternehmen gearbeitet, an dem ein FDP-Politiker beteiligt ist. Das war immer bekannt, es ist völlig legal.
Jetzt ist es ein Politikum.
Die SPD hat eine Diffamierungskampagne daraus gemacht. Das Gegenteil ist richtig: Indem ich mir einen Zugang zum Beruf erhalten habe, konnte ich mir eine gewisse Unabhängigkeit von der Politik bewahren.
Aber es spielt bei Koalitionsverhandlungen schon eine Rolle, ob man einen persönlichen Draht hat?
Das ist eine andere Ebene. Natürlich spielt es eine Rolle, ob ich zu meinem Gegenüber ein gewisses Vertrauen habe. Zu Heiko Maas hätte ich es gehabt.
Nicht zu Oskar Lafontaine?
Natürlich nicht. Zwei Jahre lang hat er versucht, unsere Partei im Saarland kaputt zu machen. Meinen Sie, das hat Vertrauen aufgebaut - bei mir oder sonst jemandem in der Partei? Und dann kündigt er zwei Tage vor unserem Parteitag seine Rückkehr ins Saarland an, obwohl er in den Sondierungsgesprächen immer deutlich gemacht hat, dass er in Berlin bleiben wird. Dieses Handeln zeigt, dass er kein Interesse daran hat, sich an irgendwelche Abmachungen zu halten.
Meinen Sie, dass er eine Koalition bewusst torpedieren wollte?
Mittlerweile glaube ich das. Obwohl ich es mir anfangs nicht vorstellen konnte. Aber ich habe einfach keine andere Erklärung.
Warum hat er das getan?
Das müssen Sie ihn fragen, nicht mich. In diesen Menschen kann ich mich nicht hineinversetzen.
Lafontaine ist immerhin noch Parteivorsitzender der Linken. Kann sich auf Bundesebene ein Vertrauensverhältnis mit den Grünen entwickeln?
Solange Lafontaine da ist, kann ich mir das nicht vorstellen. Was hat er denn gemacht in den letzten zehn Jahren? Heute treffen Sie mit diesem Mann eine Absprache, morgen tut er etwas ganz anderes. Was soll ich mit einem solchen Menschen politisch anfangen?
Ihr Jamaika-Bündnis ist dagegen ein Projekt auch für den Bund?
Es ist ein historisches Projekt mit Blick auf andere Bundesländer. Im Bund wäre ich sehr zurückhaltend. Dort sind die Gegensätze doch sehr groß. Sie haben auf Landesebene andere Themenstellungen.
Außerdem ist die CDU nicht überall gleich. Mit Roland Koch in Hessen hätte ich mir eine Koalition nicht vorstellen können. Mit Peter Müller hier im Saarland sieht das schon ganz anders aus. Die CDU-Saar ist eher mit der Hamburger CDU vergleichbar.
Ihre Hamburger Kollegen haben in der Bildungspolitik mehr herausgeholt. Dort wird die gemeinsame Grundschulzeit um zwei Jahre verlängert und ist doppelt so lang wie bei Ihnen.
Das war bei uns eine interne Diskussion. Wir haben auch als Grüne gesagt: Wir dürfen die Schritte nicht zu groß machen, um nicht unnötige Widerstände zu provozieren. Insgesamt haben wir den Weg zum integrativen Schulsystem beschritten. Das ist ein Quantensprung.
Werden SPD und Linkspartei bei der nötigen Verfassungsänderung zustimmen?
Wenn sie nicht zustimmen, müssten sie ihre eigenen Positionen ins Gegenteil verkehren. Das wäre Opposition um der Opposition willen. Das sollen sie mal ihrer Wählerschaft erklären.
Ist der strategische Vorteil von Jamaika, dass Sie damit die Opposition neutralisieren?
Es stimmt: Bei Rot-Rot-Grün hätten wir eine verfassungsändernde Mehrheit mit der CDU vergessen können. Nicht nur für die Schulpolitik. Es geht auch um die Volksbegehren, die wir massiv erleichtern wollen. Und um die Rechte von Schwulen und Lesben, die in die Landesverfassung hineinsollen - und ins Grundgesetz. Wir haben im Koalitionsvertrag verabredet, dem Antrag des schwarz-grün regierten Hamburg im Bundesrat zuzustimmen.
Wiegt das alles bei der nächsten Landtagswahl schwerer als der Umstand, dass sich jetzt mancher Grünen-Wähler verraten fühlt?
Nach einer bundesweiten Umfrage finden zwei Drittel unserer Wählerinnen und Wähler Jamaika gut. Nur 15 Prozent lehnen diese Farbkombination ab. Das Umdenken ist im Gange. Wir haben fünf Jahre Zeit, um grüne Politik unter Beweis zu stellen. Auch Peter Müller findet Gefallen an diesem Projekt, die historische Bedeutung ist ihm klar. Er will, dass diese Regierung ein Erfolg ist. Das geht nur, wenn sich alle drei Partner wiederfinden.
Steht Ihre Regierung in Opposition zu Schwarz-Gelb im Bund?
Das kommt auf die Themen an. Wenn wir uns nicht einigen können, werden wir uns im Bundesrat enthalten. Praktisch läuft das auf ein Nein hinaus. Bei der Atompolitik sind wir uns einig: Dort stehen wir in gemeinsamer Opposition zur Politik der Bundesregierung. Da haben wir in der CDU etwas angestoßen wie vor 20 Jahren in der SPD. Ich erinnere daran, wie Holger Börner in Hessen die erste rot-grüne Koalition mit Joschka Fischer wegen der Atomfrage platzen ließ.
Was einst Joschka Fischer für Rot-Grün war, ist jetzt Hubert Ulrich für Jamaika?
Der Vergleich hinkt. Jamaika ist einfach eine Veränderung der politischen Landschaft, die vor dem Hintergrund des Fünfparteiensystems notwendig war. Wir sind als Grüne nicht verantwortlich dafür, dass die Sozialdemokraten aufgrund ihrer derzeitigen Schwäche keine rot-grünen Mehrheiten mehr bilden können.
Auf dem Parteitag in Rostock sah man Sie fast allein herumstehen. Fühlen Sie sich von der Partei schlecht behandelt?
Im Gegenteil. Wir wurden von überraschend vielen, auch exponierten Grünen, zu unserer Entscheidung beglückwünscht. Sie hielten das für einen wichtigen Schritt, um eine gewisse Öffnung in anderen Ländern vorzubereiten.
Nervt Sie das nicht, dass die grünen Spitzenleute öffentlich Distanz bekunden - und insgeheim über Jamaika froh sind?
Ich kennen keinen, der Distanz bekundet hat. Es wurde gesagt: Das ist eine Entscheidung auf Landesebene. So ist es ja auch.
Ihre Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen werden es jetzt schwer haben, einen Oppositionswahlkampf gegen Schwarz-Gelb zu führen.
Das müssen die Kollegen selbst entscheiden. Auch die Diskussion über Rot-Rot-Grün ist dort nicht einfach. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Grünen in Nordrhein-Westfalen eine Verstaatlichung ihrer Industriebetriebe anstreben. Das verlangt die dortige Linkspartei.
Ist eine Jamaika-Debatte vor Wahlen wirklich so gefährlich, wie viele Grüne glauben?
Wir haben hier im Saarland das Gegenteil bewiesen. Wir haben im Wahlkampf offen kommuniziert: Wenn es für eine Ampel nicht reicht, werden wir auch über Jamaika verhandeln. Es gab nie eine Zusage für Rot-Rot-Grün, auch wenn Heiko Maas und Oskar Lafontaine jetzt versuchen, diesen Eindruck zu erwecken.
Hat Ihnen diese Diskussion bei der Wahl geschadet?
Uns haben beide Diskussionen geschadet. Die einen hatten Angst, dass wir mit der Linken koalieren. Andere wollten nicht, dass wir mit CDU und FDP regieren. Unsere 5,9 Prozent sind deshalb ein ehrliches Ergebnis von Wählerinnen und Wählern, die sagen: Ich vertraue den Grünen.
Dieses ehrliche Ergebnis ist genau das, wovor sich andere Landesverbände fürchten.
Was helfen uns 15 Prozent, wenn wir dann doch nichts gestalten können? Da sind mir unsere 5,9 Prozent lieber, mit denen wir eine Fülle von grünen Inhalten umsetzen können.
Wir haben immer gesagt, wir wollen nicht um jeden Preis regieren. Hätten wir unsere Inhalte nicht durchsetzen können, wären wir auch in die Opposition gegangen.
Wann werden die Grünen endlich einmal einen Wahlkampf führen, bei dem sie offen sagen: Wir wollen Schwarz-Grün, wir wollen Jamaika?
Das weiß ich nicht. Aber aus einer Regierung mit CDU und FDP eine Kampagne für Rot-Rot-Grün zu führen stelle ich mir jedenfalls recht schwierig vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen