Saarland: Sie retten die Liebe
Beim ersten gemeinsamen Auftritt gibt Oskar Lafontaine seiner Frau Christa Müller Flankenschutz - und verteidigt ihr erzkonservatives Familienkonzept.
Die Genossen in Berlin nehmen Christa Müller nicht mehr ernst. Führende Politiker der Linken bezeichnen Müller mit maliziösem Unterton als "ehemaliges Vorstandsmitglied aus dem Saarland". Sie glauben, die Ehefrau von Partei- und Fraktionschef Oskar Lafontaine sei jetzt ein einfaches Mitglied der Partei, organisiert im Kreisverband Saarlouis - nur weil sie auf dem Gründungsparteitag der Saar-Linken vor drei Wochen darauf verzichtete, erneut eine führende Funktion im Landesverband zu übernehmen. Die Genossen in der Bundespartei gehen davon aus, dass sich das Problem mit Lafontaines prominenter Ehefrau samt ihrer umstrittenen Thesen zur Familienpolitik erledigt hat.
Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Christa Müller steht am Freitagabend auf der Bühne des Volkshochschulzentrums in Saarbrücken und wiederholt Wort für Wort ihr familienpolitisches Konzept, von dem ihre Kritiker in Der Linken behaupten, es sei stockkonservativ, eine Mischung aus Bischof Mixa und Eva Herman. Müller fordert ein Erziehungsgehalt für alle Eltern bis zum 20. Lebensjahr ihres Kindes, sie spricht von "frühkindlichen Schäden" durch öffentliche Betreuung, sie kritisiert das "unverschämte Misstrauen", das Familien entgegengebracht werde.
Während Müller redet, klatscht neben ihr auf der Bühne unentwegt - Oskar Lafontaine. Man könnte darin, mit ein wenig Großzügigkeit, eine Geste freundlicher Anteilnahme unter Eheleuten erkennen. Aber dieser Abend in Saarbrücken ist kein Privatvergnügen, sondern eine offizielle Parteiveranstaltung. Christa Müller ist als "familienpolitische Sprecherin der Saar-Linken" angekündigt, Oskar Lafontaine als "Fraktions- und Parteivorsitzender". So gesehen ist Lafontaines Beifall für Müller ein politischer Akt. Der Bundesvorsitzende beklatscht ein familienpolitisches Programm, das den Vorstellungen der Mehrheit seiner Partei radikal zuwiderläuft.
Wo Müller und die Saar-Linken "Wahlfreiheit für alle Eltern" sagen, meinen sie die Freiheit, Kinder so lange wie möglich zu Hause betreuen zu können - deswegen wollen sie ein Erziehungsgehalt. Wo die Genossen in der Bundespartei "Wahlfreiheit" sagen, meinen sie eine wirkliche Freiheit, zwischen der Kinderbetreuung in einer Kita oder zu Hause entscheiden zu können - deswegen plädieren sie für einen flächendeckenden Ausbau kostenloser Kindertagesstätten. Genau darin sieht Müller jedoch einen "Zwang zur Fremdbetreuung". Diese umstrittene Äußerung wiederholt sie heute zwar nicht, aber ihre Abneigung gegen öffentliche Kinderbetreuung kann sie nicht verbergen. Die von Familienministerin von der Leyen geplanten 500.000 neuen Kitaplätze bezeichnet sie als Plan zur "Billigbetreuung".
Diese Widersprüche spielt Lafontaine herunter. Er nennt den erbitterten Streit zwischen Müller und der Saar-Linken sowie der Bundespartei ein "Missverständnis". Er unterstützt einfach beide Konzepte. Zurechtweisungen seiner Frau lehnt er ab. Er wolle keine Soap aufführen. Intern legt er Wert auf die Feststellung, dass er nicht das Gleiche sage wie seine Frau.
An diesem Abend in Saarbrücken führt Lafontaine keine Soap auf, sondern ein Meisterstück. Er sagt nicht das Gleiche wie seine Frau - aber er meint dasselbe. Mit ihrem ersten gemeinsamen Auftritt seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden gibt Lafontaine seiner Frau überdies politischen Flankenschutz.
Das Familienkonzept, das Müller im Stile einer Fachpolitikerin erläuterte, ordnet der Parteichef mit einer Grundsatzrede ein. Er definiert Familie als das "Zusammenleben von Erwachsenen mit Kindern". Familienpolitik könne keinen anderen Sinn haben, als dieses Zusammenleben zu verbessern. Von der Leyen mache also "gar keine Familienpolitik", weil sie dieses Zusammenleben zerstöre. Sie setze nur auf den Krippenausbau und frage, wie sie die Familie der Wirtschaft unterordnen könne. Die Linke hingegen sei auch für den Krippenausbau, aber sie frage, wie die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt der Familie untergeordnet werden können. Ein Mindestlohn sei also Familienpolitik. Und ein Erziehungsgehalt.
"Mit einem Erziehungsgehalt im Rücken kann ich mich in Liebe meinen Kindern widmen", sagt Lafontaine. "Was ist schlecht daran?" Und dann wartet der Linksparteichef noch mit einer Überraschung auf. "Sozialismus", zitiert er den protestantischen Theologen Paul Tillich, "ist eine Widerstandsbewegung gegen die Zerstörung der Liebe in der gesellschaftlichen Wirklichkeit."
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