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Saarbrücken-"Tatort""Guckt den Film nicht!"

Der Saarbrücken-"Tatort" am Sonntagabend ist der letzte mit Ermittler Deininger. Der Film und die Schauspieler wachsen weit übers übliche "Tatort"-Niveau hinaus.

Autobahn von unten: Szene aus dem "Saarbrücken-"Tatort". Bild: SR/Manuela Meyer

BERLIN taz | Eine bessere Werbung für einen "Tatort" kann es eigentlich nicht geben: Der eigene Kommissar tingelt durch die Presse und fordert: "Guckt den Film nicht!" Allerdings geht es dem Saarbrücker Ermittler Stefan Deininger nicht um Guerilla-Marketing für "Verschleppt". Gregor Weber, der in der Saar-Ausgabe der ARD-Krimireihe den Deininger mimt, meint es ernst. Dabei ist dieser "Tatort" wahrscheinlich sein bester.

Denn der Film und mit ihm die Schauspieler wachsen deutlich über das übliche "Tatort"-Niveau hinaus. Schon die ersten, verstörenden Sequenzen, in denen sich ein verletztes Mädchen im weißen Nachthemd an der Lärmschutzwand einer Autobahn entlang tastet, dazu der schrille, dem Zuschauer einiges abverlangende Ton: "Verschleppt" ist mehr Thriller als betulicher Krimi-Alltag.

Und noch dazu mit einem Thema, dass garantiert nicht zur gemütlichen Sonntagabendunterhaltung taugt. Denn das Mädchen, das wenig später tot in der Nähe der Autobahn gefunden wird, wurde entführt und über Jahre von ihrem Peiniger in einem Keller versteckt und mit bizarren Methoden auf Gehorsam trainiert.

Absolut sehenswert

Doch bevor sie davon auch nur eine Ahnung haben, werden Deininger und sein Kollege Kappl (Maximilian Brückner) mit dem nächsten Opfer konfrontiert. Wieder trägt das Mädchen nicht mehr als ein weißes Nachthemd. Aber es lebt.

Während "oben" die Polizeiarbeit sich zunächst auf einen einschlägig bekannten Pädophilen konzentriert, führt "Verschleppt" die Zuschauer immer wieder in fast schon physisch schmerzhaften Szenen in das Kellerverlies. Die Parallelen zum realen Fall Fritzl/Kampusch sind unübersehbar, und die Ermittler geraten schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.

Weber spielt seinen Deininger hart an der Grenze des Nervenzusammenbruchs. Zeugen wie Kollegen werden angeschnauzt, Verdächtige über alle Maßen unter Druck gesetzt – da ist nichts mehr von überheblicher Ermittler-Coolness oder gewollte Kaltschnäuzigkeit, sondern nur noch pure Verzweiflung.

Allein das macht "Verschleppt" absolut sehenswert. Dass Weber den Film trotzdem derart in die Tonne tritt, hat eher damit zu tun, dass "Verschleppt" (Regie: Hannu Salonen) sein letzter "Tatort" von der Saar sein wird. Der Saarländische Rundfunk hat die Kommissare Kappl und Deininger gefeuert, ab 2013 ermittelt Devid Striesow als neuer Kommissar bei der zweitkleinsten ARD-Anstalt.

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16 Kommentare

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  • A
    Andreas

    Was ist eigentlich der, Zitat: "Fall Fritzl/Kampusch"? Das waren zwei, die zufällig zeitgleich im gleichen Land stattfanden.

  • K
    KeWi

    Um es gleich vorweg zu nehmen, die schauspielerische Leistung von Gregor Weber und Maximilian Brückner war in diesem (ihrem letzten) Tatort außerordentlich gut. Wobei mich bei manchen Szenen sogar das Gefühl überkam, sie haben ihrer Enttäuschung über den Rausschmiss dabei Raum gegeben. Aber sei´s drum... Die Handlung jedoch erinnerte an das "Schweigen der Lämmer" auf TV-Niveau. Dieser Tatort hatte durchaus seine Spannung, wurde jedoch zum Ende hin sehr flach. Ein psychologisch nachvollziehbares Motiv des Täters für sein Handeln als Erklärung des Geschehenen fehlte fast gänzlich. Dazu hatte man sich auf den vielen verschiedenen Nebenschauplätzen schon zu sehr verausgabt.

    Ich bedauere es sehr, dass es der letzte Fall des Ermittlungs-Duos Kappl/Deininger war. Im Gegensatz zu anderen Meinungen fand ich die beiden stets erfrischend.

  • ES
    Ein Saarländer

    also, ich als Saarländer muss ehrlich sagen : Die Saarbrücker Tatorte - sei es mit Palü oder Kappl - waren bislang immer die schlechtesten, die ich gesehen hab. Recht langweilig, teilweise unlogisch und immer irgendwie lieblos "hingepiddelt".

    Dieser letzte Tatort mit Kappl/Deininger hat mich allerdings schon vom Hocker gerissen!

    Spannung, Psychotrip, ausrastende Kommissare (der Schlag von Kappl in die Magengrube des Verdächtigen oder Deinigers Ausruf "blöde Sau") haben diesem Tatort eine gewisse Würze gegeben, trotz des sehr brisanten Themas, das mich irgendwie leicht an SAW erinnert hat...

    War ein tolles Schlusswort von Brückner und Weber... Gratulation. Noch ein Hammer zum Schluss.

  • D
    deviant

    @Christian Alexander Tietgen:

     

    Das versteh ich schon wieder nicht:

    Behaupten Sie etwa, dass derjenige, der einen Tatort und einen Zeitungsartikel zu einem Tatort völlig unqualifiziert, weil ohne jede Kenntnis des Tatorts, kommentiert, mein politischer Gegner ist?

    Und behaupten Sie nun, dass ich unterstelle, wenn ich bloß unschuldig frage?

     

    Ich weiß ja nicht, legen Sie sich da nicht etwas weit aus dem Fenster? Klar, ich finde unqualifiziertes Daherplappern ziemlich dumm...aber es ist an sich zu wenig politisch, um als politischer Gegner zu funktionieren...

     

    @Bitterli:

    Nicht verstehen ist nie schlecht, wenn man sich Mühe gibt, dieses Nichtverständnis zu überwinden...dazu brauche ich nicht erst ihren Segen.

    Aber danke für den Hinweis, dass Sie sich in einer Schublade verstecken, das hilft mir sehr. Ich versuchs mal mit: "Quasselt unqualifiziert dumm daher und liest daher deutlich lieber PI als die taz". Volltreffer? Wusste ich's doch...

  • G
    Guenni

    Gregor Weber hatte recht: hanebüchene Aufklärung.

    Zunächst einmal ist es schon sehr beachtlich, daß das Mädchen, welches seit 7 Jahren in dem Verlies ist, sich vom Krankenhaus in dem Nachthemd bis zurück zum Haus durchschlagen kann, ohne daß es gesehen wird.

    Nun gestehen wir ihr dies mal zu.

     

    Wie bitte hat sie dann die Klappe in dem Waschbecken geschlossen und es dann mit Wasser befüllt?

    Dieser verrückte Herr Mahler war ja nur einmal kurz im Haus und hat nicht dort gewartet: "So Mädchen, da biste ja wieder, dann mal schön die Leiter runter, ich mache hier oben zu und kippe Dreckwasser ins Becken, um den Eingang zu blockieren".

     

    Auf Facebook loben sie alle den Tatort.- vor allem die Statisten, die das SR Tatort Forum betreiben. Kritische Distanz täte da auch gut.

  • PB
    Peter Bitterli

    @ deviant

    "Versteh ich nicht..." aber das macht doch nichts! Suchen Sie weiter in allen Schubladen, die Ihnen zur Verfügung stehen. Dann sind Sie sicher auf dem Irrweg, deviant, traviato.

  • CH
    Christian Hanreich

    Wenn ein Film gut ist, darf dieser gelobt werden. Andere Meinungen sind erlaubt und erwünscht. Die/den KritikerIn zu kritisieren, wäre aber eine Themaverfehlung. Insbesondere, wenn mangels Kenntnis gar keine Grundlage zur Beurteilung des Werkes vorliegt.

  • B
    Bitbändiger

    Nun, ich bin Herrn Webers Wunsch nicht gefolgt und habe mir den Tatort angeschaut. Das Lob für die darstellerischen Leistungen, die übrigens mit so manchem US-"Weltstar" von Clooney bis Pitt locker mithalten können, kann ich teilen.

     

    Die Geschichte war allerdings allzu bemüht, die reale Causa Fritzl noch zu übertreffen. Und was mich - weil weit verbreitet - wirklich wütend macht: Autoren und/oder Regisseure deutscher Krimis versuchen ständig den Eindruck zu erwecken, dieses Land sei bislang allenfalls zur Hälfte elektrifiziert - ständig müssen arme Kommissare beim Schein funzelnder Taschenlampen Wohnungen, Keller oder Fabrikhallen nach Missetätern durchsuchen, obwohl dank genialer Installationsnormen des Elektrohandwerks neben nahezu jeder Tür ein funktionierender Lichtschalter blind zu finden wäre.

  • A
    A.J.F

    Dieser Tatort war tatsächlich gut.

    Lediglich der griffbereite Bolzenschneider im Kofferraum des Dientwagens wirkte komisch :).

    Der oberbayerische Tubabläser hat mir anfangs gar nicht gefallen; zu jung, zu unrealistisch. Doch im Laufe der Zeit gefiehl mir die Spannung zwischen den beiden Komisaren immer mehr. Ich kann mir vorstellen, dass die beiden mittlerweile auch privat Freunde geworden sind.

  • HA
    Hase aus dem St. Johanner Wald

    Ob Tatort-Drehbuch oder Kriminalroman, ein bischen Wahrheit ist ja immer dran. Und weil die Polizei und die Justiz solche Fälle eigentlich nie aufgeklärt kriegt (weil sie selbst zutief drin steckt), wird eben "nur" ein Film oder Buch daraus. Bei diesem Film, bzw. Drehbuch, stört mich die Version, dass die Mädchen sich selbst umgebracht haben sollen und dass es sich um einen kranken Einzelpeiniger handelt. Die Erfahrung zeigt, dass solche Geschichten stets nicht von schlappen Individualstraftätern alleine fabriziert werden sondern immer von Ringen, also von organisierten Syndikaten. Deshalb werden auch nur Filme daraus und keine vollendeten Gerichtsverfahren. Auf die Idee, dass die Geschichte einen realen Hintergrund hat, kam ich also ich die Drahtfesseln sah, die an Gardinenstangen entlangrutschten, die kamen mir reichlich bekannt vor.

  • CA
    Christian Alexander Tietgen

    Ich finde es etwas seltsam, dass immer die verstörenden Filme als besonders gut beurteilt werden. Meiner Ansicht nach ist ein Film nur gut, wenn er die Menschen erreicht. Und bei so viel Verstörung fällt es dem gemeinem Zuschauer dann doch eher schwer, sich noch auf die Aussage zu konzentrieren. Aber vielleicht gibt es auch gar keine, wie von Peter Bitterli angedeutet.

     

    @Deviant: Solche Spekulationen ersticken jede Diskussion im Keim. Man muss nicht jedem politischen Gegner unterstellen, ein brutaler Gewaltstraftäter zu sein.

  • J
    Jan

    Weber hat Recht. Der Film war alles andere als sehenswert. Immer diese unnötigen Sequenzen mit der Klappe und der Lampe, und dann die herausragende Inkompetenz des Ermittlerteams. Wirklich, absoluter Mist. Ob es sein bester Tatort war, vermag ich nicht zu beurteilen, bis jetzt waren alle Saarbrückener Tatorte unter aller Würde. Sowohl wegen des Drehbuchs, als auch wegen der "Schauspielerischen Leistung", wenn man es denn so nennen kann.

  • H
    HugoHabicht

    Das ist der zweite Tatort in ein paar Wochen, der das Thema "Kampusch" "aufarbeitet". So tragisch der Fall für NK und ihre Familie war und ist (Fritzl natürlich nicht minder), muß man doch konstatieren, dass es sich dabei um krasse Einzelfälle in einem anderen Land handelt, die nun nicht landauf landab jeden Sonntag Abend nochmal verhandelt werden müssen. Das dient nur der Blödzeitung mit ihren Kampagnien für den Überwachungsstaat mit der Begründung, dass hinter jedem Busch ein Priklopil hockt, was ja nun glücklicherweise nicht der Fall ist.

  • D
    Dotziman

    "Das Schweigen der Lämmer" in Saarbrücken!

  • D
    deviant

    @Peter Bitterli:

     

    Versteh ich nicht...worin besteht nun Ihre Kritik?

    Fühlen Sie sich etwa als Teil der nicht-relevanten Minderheit der Mädcheneinsperrer- und -quäler provoziert? Oder ihre nicht-relevante Minderheit entmarginalisiert? Ich versteh's echt nicht...

     

    uAwg

  • PB
    Peter Bitterli

    Ob der Film gut ist oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Klar ist, dass Schreiber der stets politisch korrekten "TaZ" ihn über den grünen Klee loben müssen: Kunst (und Halbkunst) wird auf die richtige Moral hin abgekloppt und beurteilt. Da darf es denn auch Gemeinplatz und Binsenwahrheit sein; als ob eine relevante Minderheit Mädcheneinsperren und -quälen nicht falsch fände.