SUSANNE LANG über DIE ANDEREN: Herr Schramm, wir müssen reden!
16 Prozent Quote. Für politisches Kabarett. Im ZDF. Wahnsinn. Beziehungsweise: Was ist denn jetzt los?
Angenommen, der Wahnsinn hätte System. Er würde zuerst die CSU implodieren lassen, um dann eine Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen, an der selbst Multimillionär Günther Jauch verzweifeln würde, wenn er das nicht schon längst getan hätte, da ihm die Chefs der Anstalt die Heimkehr in die ARD verweigerten, die wiederum schon ganz andere aus ihrem Unterhaltungsprogramm vertrieben hat, worüber sich gerade das ZDF sehr freut, da einer von ihnen eine Traumquote von über 16 Prozent einspielte, und das an einem Dienstag, nach dem „heute journal“, mit einer jakobinischen Moralpredigt über ebendiesen Wahnsinn mit System. Da müsste man doch gratulieren!
Ich wählte eine Nummer im Badischen. Georg Schramm, 57, der Psychologe (in echt, mit Studium) und Leutnant (in echt, mit Bundeswehrkarriere) unter den deutschen Kabarettisten, ist ein wenig angeschlagen, wie er sagt. Grippe. Zu allem Überfluss habe er zudem sein Handy bei der Premierenfeier seiner neuen Sendung „Neues aus der Anstalt“ im ZDF vergessen.
Über die Glückwünsche zu seinem Erfolg, an den nun niemand so recht glaubte, außer ihm, seinem Partner Urban Priol und den Verantwortlichen im ZDF, freut er sich um so mehr, als er sich ja eigentlich über den Erfolg freut, der nicht nur aufgrund der Quote wichtig ist. „Ich bin mehr als zufrieden“, sagt Schramm und lacht, „das ist uns natürlich schon ein innerer Reichsparteitag gewesen, dass so viele Zuschauer bei uns geblieben sind, weil es gelungen ist, sehr unterschiedliche und zum Teil noch unbekannte Künstler in der Sendung zu integrieren.“
Selbstverständlich. Schließlich hat Schramm das Flaggschiff des Fernsehkabaretts, den „Scheibenwischer“ in der ARD, aufgrund von, nun ja, Meinungsverschiedenheiten über die Sendungsgestaltung im Zorn verlassen. Und Georg Schramm ist oft zornig. Einer wie er, der nach seiner Zeit bei der Bundeswehr bis 1988 als Psychologe in einer Rehaklinik gearbeitet hat, um dann die „Waffengattung zu wechseln“ und „Berufskabarettist“ zu werden, muss sich aufregen über den „täglichen Irrsinn“ da draußen: Gesundheitsreform, Hartz IV, verlogene Politiker und schamlose Ackermänner.
Und eigentlich ist einer wie er mit seinen drei Alter Egos, dem Oberst Sanftleben, dem verbitterten Schlechte-Laune-Preußen Dombrowski und dem Sozialdemokraten August, selbst im darbenden Business des politischen Kabaretts schwer vermittelbar. Und plötzlich stimmt die Quote. Nach Dombrowskis drittem Monolog aus der Anstalt, an jenem ersten Dienstag, als die Heuschrecken und das „Neonazigeschmeiß“ und die Mörder-Soldaten, der ganze Wahnsinn also, beinahe schon aus dem Fernseher direkt in meine Wohnung eingefallen war, wollte ich es dann doch wissen: Worauf will einer wie er noch hinaus?
„Hm“, überlegte Schramm, „also, es hat eine befreiende Wirkung, nicht nur für mich, auch auf Zuschauer.“ Endlich sagt’s mal einer? „Ja. Auf unseren Tourneen erleben wir Kabarettisten, dass die Politisierung unserer Zuschauer enorm zugenommen hat, der Unmut der Bevölkerung hat ein zeitweise beunruhigendes Ausmaß angenommen.“ Er klang ernst, alarmistisch gegen den Wahnsinn – ein letzter Linker seiner Art? „Ich würde sagen, meine gefühlte Gesinnung ist links.“ Und was sagt dieses Gefühl? „Es geht mir darum, dem Irrsinn etwas entgegenzustellen: Es soll mal so etwas wie Vernunft gegeben haben. Irgendwo muss doch noch etwas sein vom kulturellen Verdienst der Aufklärung.“
Ich war mir nicht sicher. „Glauben Sie, dass da mal mehr war?“, fragte ich. „Ja, das glaube ich. Allerdings werden in unserer Demokratie die Möglichkeiten immer größer, die Leute sanft hinters Licht zu führen – die Massenmedien haben einen Anteil daran.“ Dagegen kämpft Kabarett im Fernsehen? „Unter Umständen unterwerfe ich mich auch dem Problem, dass ich unterhaltsam sein muss. Ich bin ja kein Politiker. Aber es gibt einen nicht zu kleinen Teil in der Bevölkerung, der anspruchsvoll unterhalten sein will.“ 16 Prozent. Die Wahnsinnsquote.
Frage zur Quote? kolumne@taz.de Morgen: Arno Frank über GESCHÖPFE
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