: SUPPENKASPER UND ERBSENZÄHLER
■ Puschkins „Mozart und Salieri“ im Hebbel-Theater
Der große geniale Mozart ist ein dummes kleines pubertierendes Arschloch. Der muß sich - verdammt noch mal nicht anstrengen. Dem fliegen die Noten, die andere erbsenzählen müssen, einfach so aus den Ohren. Der macht den Clown, wenn andere schwitzen, der lümmelt am Klavier und produziert doch die schaurig-schönsten Melodien, der spielt Piano, und man hört die Geigen. Es ist zum Heulen, es ist zum Davonlaufen. Das hat der nicht verdient, diesen Ruhm. Dieser lächerliche Bubi, dieser widerliche Dilettant, dieses dümmliche Genie, der alles, alles besser kann als jeder, jeder andere, und besonders als sein Konkurrent Salieri, Hofkapellmeister zu Wien - ein Noten-Handwerker eben. Und er, ein Genie, ein Genie, ein Genie...!!!!!
Alexander Puschkin nannte seine kleine Tragödie „Mozart und Salieri“, in der er durchspielt, was Antonio Salieri auf dem Totenbett zugegeben haben will, nämlich seinen vergötterten Konkurrenten Mozart vergiftet zu haben, ursprünglich „Neid“. Und um diese gallenbittere Qual geht es dann auch, um die Tragödie des Neiders, der den Beneideten nur braucht, um ihn anzuhimmeln, um ihn zu hassen und vor allem sich selbst, um endlich eine Erklärung für die eigene Unzulänglichkeit zu finden, um sich mit ihm zu identifizieren und sich von ihm zu distanzieren, um einen Gott zu finden, dessen Sturz nur eine Dosis Gift kostet, dessen Tod aber dann doch noch ausgiebigst beweint werden kann. Nur daß Manfred Karge, der das Stück nicht nur aus dem Russischen übersetzt, sondern auch Regie geführt und Bühnenbild und Kostüme entworfen hat, von Neid nichts weiß oder zumindest nichts zeigt.
Zwar macht Tilda Swinton als Mozart genau diesen hoffnungslos überzeichneten kindischen Suppenkasper, die vergötterte Marionette der Gefühle Salieris, diese Puppe, der der blinde Neider alle beliebigen Eigenschaften zuschreiben kann - gerade wie er's halt für die eigene Ökonomie der Haßliebe braucht. Doch Salieri (Lore Brunner) scheint all diese zerfleischenden Gefühle gar nicht zu haben, für die Mozart die Projektionsfläche darstellt, ist doch auch diese tragische Figur stilisiert und verkürzt zum Klischee des gemeinen, pedantischen, eindimensionalen Mißgünstlings, der die Konflikte des wirklichen leidenden Neiders nicht kennt, und statt dessen einfach nur demonstrativ nach dem Metronom spricht und ansonsten gelegentlich unvermittelt aus lauter Rührung über des Meisters Musik eine Träne zerdrückt. Warum er weint, weiß niemand, warum er morden muß, bleibt unverständlich, und schließlich auch, warum dies wenigstens nur dreiviertelstündige Kammerstückchen also überhaupt aufgeführt werden und gar noch mit dem Burgtheater Wien, dem Almeida-Theatre London und dem Theaterforum Köln großartig koproduziert werden mußte. Schade um das wunderbare Thema!
Gabriele Riedle
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