: SUCHT NACH VORN
■ Der Kampf gegen Drogen - Ein Phantomkrieg
Nach Angaben des Bundeskriminalamts „stieg die Zahl der bekanntgewordenen Drogen-Erstkonsumenten um insgesamt 80 Prozent auf 2670. In den Heroinkonsum stiegen 93 Prozent mehr ein, Amphetamine nahmen 73 Prozent und Kokain schnupften 55 Prozent mehr.“ Auch bei den Sicherstellungen wurden im ersten Halbjahr 1988 neue Rekorde erzielt, was verdeutliche, so Amtschef Boge, „daß in einem bisher noch nie feststellbaren Ausmaß Rauschgift in beziehungsweise durch die Bundesrepublik geschmuggelt wird.“ Abgesehen davon, daß die Verbreitung illegaler Drogen für die Polizei genausowenig „feststellbar“ ist wie „Erstkonsumenten“ oder „Todesfälle“ (281 - „Anstieg um fast 80%“) - der Trend dieser Halbjahresbilanz spricht für sich. Dem nüchternen Ökonomen, der Wachstum und Handelsbilanzen hinterherrechnet, müssen bei Steigerungsraten über 90 Prozent die Augen leuchten: Was für ein Markt! Und so wundert es nicht, daß ein ökonomisch denkender Mensch, der Nobelpreisträger Milton Friedman, kürzlich gefordert hat, den Verkauf von Kokain zu legalisieren. Nur so ließen sich die Drogen-Probleme überhaupt angehen. Man muß nicht mit einem nobelpreisverdächtigen Hirn ausgestattet sein, um zu erkennen, daß der Mann recht hat. Die Drogenkrieger belegen es mit jeder ihrer Bilanzen. Mit immer höhrerem Aufwand wird gefahndet, beschlagnahmt, verhaftet, doch die Nachfrage steigt und steigt. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, schon hat man bei einem der beliebtesten Polizisten der Republik, dem leibhaftigen Derrick -Assistenten Fritz Wepper, 0,06 Gramm Koks entdeckt. Und wer weiß, was noch passiert, wenn Staatssekretin Gauweiler mit seinem Miami-Vice-Kitsch durchdringt, künftig die Autos überführter Drogen-Täter dem Fuhrpark der Drogenfahndung einzuverleiben um so Bayern drogenfrei zu machen. Dennoch werden derlei lächerliche Kammerjäger-Allüren von der Öffentlichkeit ebenso ernst zur Kenntnis genommen, wie die nach jedem ergebnislosen Wirtschaftsgipfel oder „Siebenertreffen“ achtkantig verkündeten Beschlüsse zur Rauschgiftbekämpfung. Daß es sich um einen Krieg handelt, der keinen einzigen Gewinner aber permanent Opfer produziert, daß von den 281 Verstorbenen viele noch leben könnten, gäbe es das Heroin der Bayer-AG wieder in den Apotheken, daß die 100.000 Jahre Knast, die wegen Drogenalljährlich verteilt werden, sozial und volkswirtschaftlich sinnvoller genutzt werden könnten, daß kein Mensch einen Joint mehr raucht, weil es nicht mehr verboten ist (der Alkohol-Konsum ging nach Aufhebung der Prohibiton in USA bekanntlich zurück) - all diese Binsenweisheiten sind so verschüttet, daß es offenbar doch eines Denkers wie Friedman bedarf, um sie zu entdecken. Daß nebenbei mit dem Stichwort Drogen die zwei zentralen Punkte abendländischer Befindlichkeit im ausgehenden zweiten Jahrtausend angesprochen sind - Ekstase und Langeweile - und die künftige Freizeitgesellschaft ohne eine eine neue Chemie des Hirns nicht vorstellbar ist, sei hier nur angedeutet. Für die Kleingeister an der Drogenfront ist das zu starker Tobak, hier würde fürs erste die Einsicht reichen, um was für einen Kampf es sich eigentlich handelt, den eine Politiker-Generation nach der anderen lautstark führt: ein Phantomkrieg.
Mathias Bröckers
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