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STAATLICH VERORDNETER MORD IM HÜHNERSTALL Von Ralf Sotscheck

Die britische Regierung schreckt vor nichts zurück— nicht mal vor Hühnermord. 5.000 dieser eierlegenden Nutztiere, die dem Nonnenkloster „Our Lady of the Passion“ in Daventry in der englischen Grafschaft Northamptonshire gehörten, wurden auf Anweisung des Landwirtschaftsministeriums geschlachtet, weil sie angeblich mit Salmonellen verseucht waren. Inzwischen stellte sich jedoch heraus, daß der offizielle Untersuchungsbericht gefälscht war: Forensische Tests ergaben, daß wichtige Passagen und „Schlüsselworte“ nachträglich hinzugefügt worden waren. „Totaler Fake“, sagt selbst der Veterinärmediziner des Landwirtschaftsministeriums, Richard Cawthorne. In politischen Prozessen gegen vermeintliche IRA- Mitglieder ist man das ja gewohnt, aber der Fall der gefälschten Hühner-Atteste löst doch Verblüffung aus: Nach den „Birmingham Six“ und „Guildford Four“ nun also die „Daventry Fivethousand“.

Nach einem langwierigen Prozeß mußte der Staat den Nonnen 3.329 Pfund (ca. 9.600 Mark) Entschädigung zahlen — knapp zwei Mark pro Batterie-Henne. Die Klosterfrauen legten Einspruch ein. Im vergangenen Monat entschied der unabhängige Schlichter Roger Stone, daß das Ministerium fast das Dreifache hinblättern muß, nämlich 12.292 Pfund. Landwirtschaftsminister John Gummer akzeptierte diese Summe jedoch nicht und zog erneut vor Gericht.

Der Fall begann im Oktober 1989. Damals schlossen sich die Nonnen unter Führung der 82jährigen Äbtissin, Mutter Catherine, in den Hühnerstall ein, um ihr Federvieh vor der Zwangsschlachtung zu retten. Doch vergeblich — der lange Arm des Landwirtschaftsministeriums kannte keine Gnade. Die staatlichen Hühnerdiebe machten den Eierlieferanten den Garaus und die Nonnen dadurch brotlos. Die verlegten sich zwar auf die Herstellung „belgischer“ Schokolade, doch das erwies sich als Flop. Das Kloster blieb auf Bergen von Süßigkeiten sitzen. Die EngländerInnen mißtrauen offenbar belgischer Schokolade, wenn sie aus Northamptonshire kommt. So steht das Kloster nun vor dem Bankrott und kann nicht mal das Geld für die weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen aufbringen.

Sympathisanten der Nonnen behaupten, daß Minister Gummer die frommen Frauen mit seinem Haß verfolge, weil sie durch ihre Hühnerstallaktion vor drei Jahren das Ministerium blamiert hätten. Der Berater der Nonnen, Lebensmittelexperte Richard North, sagt, daß die Nonnen zwar durch das Urteil des Schlichters rehabilitiert seien, aber sie hätten nichts mehr davon, weil sie die Kosten für die nächste Instanz nicht aufbringen können. Für die rehabilitierten, aber toten Hühner kommt der Schlichterspruch freilich ohnehin zu spät. „Die Nonnen sind der Meinung, daß der Staat seine ganze Macht einsetzt, um sie um die ihnen zustehende Kompensation zu betrügen“, sagte North.

Das Ministerium bestreitet das. Ein Sprecher behauptete, man habe Einspruch eingelegt, weil der begründete Verdacht vorliege, daß ein „unkorrekter Ansatz für die Wertermittlung der Hühner benutzt“ worden sei. Die Nonnen selbst verweigern jede Auskunft. Die neue Äbtissin, Schwester Regina, sagte, das Medieninteresse habe sich als „schwerer Eingriff in unser Leben“ herausgestellt. Deshalb rede man nicht mehr mit der Presse — auch dann nicht, wenn das den Absatz belgischer Schokolade fördern würde.

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