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SSW-MdB über die Tiraden des CDU-Chefs„Ich dachte, bei Merz sei eine Sicherung durchgeknallt“

Stefan Seidler sitzt erneut für den Südschleswigschen Wählerverband im Bundestag. Er befürchtet Kürzungen bei Minderheitenrechten – aufgrund der AfD.

Stefan Seidler, hier bei einem Parteitag des Südschleswigschen Wählerverbands in Harrislee Foto: Willi Schewski/imago
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Seidler, als Friedrich Merz am Tag vor der Bundestagswahl über linke und grüne Spinner hergezogen hat, haben Sie sich da auch angesprochen gefühlt?

Stefan Seidler: Und ob. Ich fand das eine Sauerei. Die Demonstration, über die er gesprochen hat, habe ich mitorganisiert. Ich dachte, bei Merz sei eine Sicherung durchgeknallt und kurzzeitig hatte ich wirklich Schiss, dass er vielleicht doch gemeinsame Sache mit der AfD macht.

taz: A propos AfD. Bislang schien Schleswig-Holstein relativ immun gegen die Partei zu sein. Jetzt hat sie dort 16,9 Prozent der Stimmen bekommen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Stefan Seidler: Nicht wirklich. Sogar in Flensburg sind einige Wahlbezirke braun geworden, zum Beispiel mein Heimatbezirk im Südwesten. Entschuldigung, aber jetzt wird es richtig lokal. Dort gibt es ein Freibad, das sollte schließen. Ich habe mich für die Erhaltung eingesetzt und Geld in Berlin besorgt. Und jetzt zögert die Stadt noch, ob sie das Bad trotzdem sanieren lassen will oder nicht. Ich glaube, das ist ein Beispiel, warum die Leute die Nase von der Politik voll haben, im Kleinen wie im großen.

Im Interview: Stefan Seidler

45 Jahre, sitzt seit der Wahl im September 2021 für den Süd­schleswigschen Wählerverband (SSW) als fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag. Bei der vorgezogenen Bundestagwahl am 23. Februar 2025 wurde der Politik­wissen­schaftler erneut ins Parlament gewählt. Für den SSW als Partei einer nationalen Minderheit gilt die 5-Prozent-Sperrklausel nicht.

taz: In Anbetracht der außenpolitischen Lage wird derzeit in Sachen Militärausgaben viel über eine Lockerung der Schuldenbremse und Sondervermögen diskutiert. Sollte der alte Bundestag da noch tätig werden?

Stefan Seidler: Bei der Schuldenbremse bin ich ganz klar für eine Lockerung. Besonders auch im Norden müssen wir investieren – in den Küstenschutz, unsere Häfen, überhaupt in die Infrastruktur, da bröckelt alles auseinander. Bei den Militärausgaben würde ich mir wünschen, dass zunächst mit den Linken Gespräche geführt werden, ob sie sich in irgendeiner Form bewegen. Falls nicht, müssten wir das wohl jetzt noch durchziehen. Es geht um nichts weniger, als die Verteidigung von Freiheit und Demokratie. Ehrlich gesagt, ich tue mich schwer damit, denn der SSW ist ja traditionell eine pazifistische Partei, aber jetzt haben wir wirklich ein akute Bedrohungslage und das auch noch direkt vor der Haustür. Nehmen wir mal den Ostseeraum, wo Schiffe mit ihren Ankern Pipelines, Tunnel und Kabel gefährden. Die Joint Forces gemeinsam mit den Schweden, Dänen und Polen sind dort ja bereits im Einsatz. Aber die Zusammenarbeit muss vertieft werden. Dafür brauchen wir aber ein neues Seesicherheitsgesetz.

taz: Einer Ihrer Arbeitsschwerpunkt in der letzten Legislaturperiode waren ja die Rechte von Minderheiten. Geht der Einsatz an dieser Front weiter?

Stefan Seidler: Auf jeden Fall. Es wäre geradezu fatal, bei den Minderheiten zu sparen in einer Zeit, wo Rechtsaußen immer stärker wird. Diese Leute definieren Demokratie und Politik als Macht des Stärkeren.

taz: Haben Sie Befürchtung, dass bei Geldern für Minderheiten künftig gekürzt wird?

Stefan Seidler: Klar wird versucht werden, da mit dem Rotstift ran zu gehen. Und das schlägt immer doppelt zu Buche. Da geht es nämlich nicht um eine kleine Hochglanzbroschüre oder eine nette Kulturveranstaltung, sondern es geht an die Substanz: Schulen, andere Institutionen. Wenn die die Lichter ausmachen, ist das unwiderruflich. Außer den Minderheiten werde ich mich natürlich auch meine anderen Themen weiter kümmern.

taz: Als da wären?

Stefan Seidler: Küstenschutz, Entwicklung der Infrastruktur sowie Bildungs- und Sozialpolitik nach nordischem Vorbild. Ich könnte mir auch vorstellen, einen Fokus auf Kultur zu legen, weil ja auch da immer gespart wird. Ich habe in der vergangenen Periode übrigens immer gut mit der Linken zusammen gearbeitet. Sie waren es, die mir hier und da eine kleine Anfrage ermöglicht haben. Inhaltlich haben wir Schnittmengen, zum Beispiel bei der Wohnungspolitik. Da würde ich gerne mal erklären, wie das in Skandinavien funktioniert.

taz: Die AfD wird mit 152 Abgeordneten im neuen Bundestag sitzen. Was erwarten Sie für die parlamentarische Arbeit?

Stefan Seidler: Der Eiertanz fängt ja schon auf dem Flur an, weil man nicht weiß, wem man auf dem da über den Weg läuft oder wer mit einem im Aufzug steht. Die Stimmung dürfte schlechter werden. Normalerweise bewege ich mich gerne in diesen Räumlichkeiten. Vielleicht kommt es so weit, dass ich irgendwann denke: Bloß schnell weg hier, wenn die Arbeit getan ist.

Im Parlament rechne ich mit mehr Druck seitens der AfD. Unter Demokraten gibt es ja die klare Abmachung, dass diese Partei keinen Platz im Präsidium des Bundestags bekommt. Ob das jetzt jetzt noch aufrecht erhalten werden kann, weiß ich nicht. Ich werde mich jedenfalls dafür stark machen. Und dann werden wir wieder das Klagelied hören, dass sie hier unterdrückt werden und dass wir die Antidemokraten sind. Das alles macht mir große Sorgen.

taz: Jetzt gucken wir noch mal etwas weiter in den Norden. Was können wir von Dänemark lernen?

Stefan Seidler: Bürgerbeteiligung gleich von Anfang an mitdenken. Nicht immer darauf warten, dann man sich 140 Prozent bei einer Sache sicher ist, sondern vielleicht schon mal bei 80 Prozent loslegen. Dann schaffen wir den Rest auch noch.

taz: Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Stefan Seidler: Ja, eins meiner Lieblingsthema, den Küstenschutz. Wegen steigender Wasserstände haben wir mobile Deiche angeschafft, mussten dann aber feststellen, dass das an der Ostküste teilweise nicht wirklich etwas bringt. Okay, das Geld wurde falsch ausgegeben, aber immerhin haben wir etwas gelernt: Dass wir die Schleusen und Deiche ein bisschen höher bauen müssen.

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