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SPUKGESTALTEN Es bröckelt an allen Fronten: „Nachtsendung“ von Kathrin Röggla beschreibt die Wohlfühlblase kurz vor dem PlatzenPanikherde der Jetztzeit

von Christoph Schröder

Ein Großstadtflughafen, umgeben von Dunkelheit. Oder, daran anschließend, die Bürgerversammlung der Frankfurter Flughafenausbaugegner. Ein internationaler Kongress in den Bergen, dessen Ziel unklar bleibt, es sei denn der Begriff „Networking“ wäre an sich bereits ein klar definierter Auftrag. Oder aber auch ein Internetforum, in dem die User sich unter Pseudonym über ihre Zivilisationskrankheiten austauschen. Kathrin Röggla hatte schon immer ein Gespür für die Alltagsunheimlichkeiten; für Situationen, die von den meisten Beteiligten als vollkommen normal aufgefasst werden, in Wahrheit aber doch Symptome sind, wofür auch immer.

Im Jahr 2004 hat die in Berlin lebende Österreicherin, mittlerweile Vizepräsidentin der Berliner Akademie der Künste, mit „wir schlafen nicht“ ein Buch von erschreckender Treffsicherheit vorgelegt. Röggla ist dorthin gegangen, wo sich unmerklich eine Revolution ereignet hat; an jene Orte, an denen die fehlende Trennung von Arbeits- und Privatleben als Errungenschaft verkauft wird; in die Welt der Agenturen, der Startups und New Economy. Sechs Jahre später hat Röggla in „die alarmbereiten“ ihr Szenario einer krisengeschüttelten Wirklichkeit weiter ausgebaut.

Spielplätze und Yogagruppen erscheinen im Funkeln dieser Sprache als Kampfzonen und Vorhöllen

In ihrem neuen Buch „Nachtsendung“ (nicht in der Röggla sonst eigenen Kleinschreibung verfasst) erkundet Röggla nun erneut in insgesamt 42, zum Teil lose verbundenen Prosaminiaturen die kleinen und großen Panikherde der Jetztzeit. Es sind Partikel von Schauergeschichten, die Röggla erzählt, und sie findet ihr Material tatsächlich überall. Die Diagnose des Buches lautet: Es bröckelt an allen Fronten, in Politik und Wissenschaft, in Wirtschaft, Familie, Intimsphäre und Gesundheit.

Das hat zunächst einmal etwas ungemein Mitreißendes, weil Röggla sich perfektioniert hat in einer durchrhythmisierten und variantenreichen Sprache, die sowohl das Unbehagen als auch die absurde Komik, die in mancher der Situationen steckt, zum Leuchten bringt. Ihren Figuren rückt Röggla nie zu nahe, sodass sie in der Grauzone zwischen Wiedererkennungswert und bloßer Typisierung verortet sind. Wir lernen sie nicht richtig kennen und fragen uns permanent, ob wir das überhaupt wollen. Das ist technisch geschickt gemacht.

Die Schlachtfelder der modernen Verwirrung sind Kongressräume, aus denen Teilnehmer plötzlich verschwinden. Vielleicht waren sie auch nie da, sondern nur auf irgendeinem Bildschirm präsent. Oder aber auch Spielplätze und Mütter-Yogagruppen, die im Funkeln der Röggla’schen Sprache als Kampfzonen und Vorhöllen zugleich erscheinen. Ist das prä- oder postapokalyptisch? Der Wahrnehmungsapparat dieser Texte ist eine Spur neben einer Realität ausgerichtet, die in sich genommen noch irgendwie zu funktionieren scheint und trotzdem den Eindruck einer Gesamt-Parallelveranstaltung vermittelt. Die Grundthese führt Rögglas frühere Bücher fort: Während da draußen die ganz großen Katastrophen und Schweinereien geschehen, sind all die im kapitalistischen System Gefangenen zappelig damit beschäftigt, sich selbst zu optimieren, um zumindest noch die eigene Haut retten zu können. Und spielen dabei der allgemeinen Krise in die Hände.

Es geht um Beobachtung und Kontrolle, um Konkurrenz und Erschöpfung. Das allerdings hat man bald verstanden. Und so kunstfertig-elegant eine nicht geringe Zahl der 42 Texte auch konzipiert sein mag, so erschöpfend und monoton gerät „Nachtsendung“ mit zunehmender Lektüre. Hinzu kommt, dass Kathrin Röggla sich, anders als in ihren früheren Büchern, hin und wieder in einem expliziten und auch billigen Katastrophismus ergeht. Es raunt hier und da gewaltig. In der Geschichte „Im Bauch des Wals (Nuller Jahre)“ wird ansatzweise deutlich, womit das zu tun haben könnte: Es scheint, als ahne Kathrin Röggla eine gesteigerte Dringlichkeit, als sei das spielerische Potenzial der nuller Jahre nun endgültig aufgebraucht und verpufft.

Da sitzt ein Radiomoderator seit Jahren Nacht für Nacht im Studio und nimmt Anrufe entgegen. „Er hatte“, so heißt es, „all die Jahre in dieser Nachtsendung verbracht mit Telefonschaltungen und Hörerfragen, die er durchziehen musste, und so mancher Spukgestalt, die das Nachtradio eben hergab, aber nun, ahnte Wols, würde Schluss damit sein. Er war die längste Zeit im Bauch des Wals gesessen, gleich würde es aufs Schwimmen ankommen.“ Die Wohlfühlblase – kurz vor dem Platzen. Es kommen härtere Zeiten. Rein gesellschaftsdiagnostisch mag Röggla damit recht haben. Literarisch hat ihr diese Einsicht eher geschadet.

Kathrin Röggla: „Nachtsendung. Unheimliche Geschichten“. Fischer, Frankfurt a. M. 2016, 288 Seiten, 22 Euro

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